| Vorträge und Gespräche
Zusammenleben der Religionen

Al-Andalus, ein Paradies?

Realität oder zu viel Romantik? Das muslimisch regierte Spanien des Mittelalters gilt als Modellfall für das Zusammenleben der Religionen.

Von Christian Ströbele

Vor rund 70 interessierten Gästen zeichnete der Konstanzer Mediävist Eric Böhme die wechselvollen Phasen von den Anfängen der muslimischen Eroberung im frühen 8. Jahrhundert über die Blütezeit des Kalifats von Córdoba bis zum Ende des Emirats von Granada 1492 nach. Dabei widersprach er der verbreiteten Vorstellung von Al-Andalus als harmonischem, immerwährendem „Paradies der Toleranz“ der Religionen. Vielmehr sei von einer pragmatischen „Conveniencia“ auszugehen, einem Miteinander-Auskommen um des Überlebens und des Herrschaftserhalts willen. Dies zeige sich im „ḏimma“-System, das Juden und Christen – gegen Sondersteuern – Schutz und eingeschränkte Autonomie gewährte.

Die Stellung religiöser Minderheiten schwankte jedoch zwischen Duldung und Verfolgung, je nach Ausrichtung einzelner Herrscher und Dynastien, so Böhme. So hätten die streng religiösen Almoraviden und Almohaden im 12. Jahrhundert Zwangskonversionen und Vertreibungen vorangetrieben. Jüdische Gemeinden seien fast völlig verschwunden. Auch unter christlicher Herrschaft habe sich die Situation durch Ausgrenzung, Zwangskonversion und Vertreibung der Juden und Muslime verschlechtert.

Muslimische und jüdische Gelehrsamkeit, christliche Nutznießer

Zugleich habe die Epoche bedeutende zivilisatorische Fortschritte hervorgebracht, etwa durch arabische und jüdische Gelehrte wie Ibn Ruschd (Averroes) und Moses Maimonides. Deren Aristoteles-Rezeption habe die Philosophie in Westeuropa maßgeblich beeinflusst, ebenso wie Innovationen in Medizin und Agrarwissenschaft. Die Moschee-Kathedrale von Córdoba und die Alhambra von Granada zeugen bis heute von diesem Vermächtnis und ziehen Millionen Besucher an.

Forschungskontroversen entzünden sich laut Böhme an Konzepten wie „Reconquista“ und „Convivencia“. Ersteres werde von spanischen Nationalisten zur Verherrlichung einer vermeintlich rechtmäßigen „Rückeroberung“ instrumentalisiert (und ganz aktuell auch von der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ auf ganz Europa übertragen), letzteres übertreibe die Erzählung von religiöser Harmonie. Sinnvoller seien differenzierte Betrachtungsweisen entlang von Makro-, Meso- und Mikroebene der Religionsbeziehungen.

Eine islamische Aufklärung?

Die anschließende rege Diskussion kreiste zunächst um die Frage, inwieweit der Begriff der Aufklärung, analog zur europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert, auf die islamische Welt anwendbar ist. Sind womöglich andere Konzepte, wie beispielsweise das des „freien Urteils“ (iǧtihād) im Gegensatz zur „Nachahmung“ (taqlīd) passender, um die Entwicklung des islamischen Denkens zu beschreiben?

Weiterführend wurde die Rolle der Philosophie in der andalusischen Gesellschaft diskutiert. Hierbei wurde deutlich, dass Philosophie vornehmlich ein Elitenthema blieb und die Lebensrealität der Mehrheit der Bevölkerung kaum direkt beeinflusste. Ein weiterer Diskussionspunkt war der Vergleich zwischen dem muslimischen Andalusien und dem normannischen Sizilien: Trotz der räumlichen Nähe und der ähnlichen Struktur des „Miteinanderauskommens” unterschieden sich beide Regionen deutlich in der Instrumentalisierung des muslimischen Erbes für die Herrschaftsrepräsentation.

Bei Tapas wurde der Gedankenaustausch fortgesetzt.

Am 11. Juli wird ein zweiter Akademie-Abend – dann im Haus der Katholischen Kirche mit Professor Stefan Schreiner – das Thema weiterverfolgen.