| Vorträge und Gespräche
Den Tod überleben?

Der Umgang mit dem Unfassbaren

Ein stark besuchter Abend in Weingarten: Der Philosoph Wilhelm Schmid mit seinem neuen Buch „Den Tod überleben".

„Den Tod überleben..." Im März erschienen, erschien im April schon die zweite Auflage dieses Buches; auf der Spiegelbestsellerliste war es zum Veranstaltungszeitpunkt auf Platz neun geklettert. Das große Interesse schlug sich auch am Stand der Stadtbuchhandlung Weingarten nieder, die alle mitgebrachten aktuellen Bücher Schmids am Abend verkaufte.

Zusammen und mit Unterstützung des Akademievereins war der Abend auch ein Begleitprogramm zur Ausstellung „Ein schöner Ort zum Sterben“. Die gezeigten Bilder sind das Ergebnis eines Mitmach-Foto-Projekts des Fachbereichs Kunst; im Tagungshaus werden sie bis 8. September ausgestellt – sehenswert.

„Mit dem Tod der anderen muss man leben“

„Den Tod überleben“. Das klingt zunächst einmal gut. Für alle, die sich von der Veranstaltung eine Idee erhofften, wie sie ihren eigenen Tod überleben könnten, gab es eine schlechte Nachricht. Denn um dieses Thema ging es nicht.

„Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muß man leben.“ So hatte es Mascha Kaléko 1945 in einem Gedicht formuliert und „Den Tod überleben“, das meint in diesem Sinne den „Umgang mit dem Unfassbaren“, nämlich den Tod der anderen. Wer zurückbleibt, wer am Leben bleibt, muss damit umgehen. Wilhelm Schmid macht sich seine Gedanken aus einer philosophischen Perspektive ebenso wie aus der eigenen Erfahrung nach dem Tod seiner Frau an Weihnachten 2021. Es ist ein sehr persönliches Buch geworden, gleichwohl finden praktische Philosophie, Metaphysik und Lebenskunst darin ihren Platz.

„Menschen wissen nicht, was sie alles nicht wissen“

Prof. Dr. Wilhelm Schmid wurde in Bayerisch-Schwaben geboren und lebt als freier Philosoph heute in Berlin. Zu Weingarten hat er einen besonderen Bezug: Seine Eltern haben vor 85 Jahren in der Basilika auf dem Martinsberg geheiratet.

Hält Wilhelm Schmid ansonsten eher Vorträge zu seinen Büchern, wie über das Schaukeln (2023), die Selbstfreundschaft (2018), die Gelassenheit (2014) und das Glück (2007), um nur einige zu nennen, so gab es diesmal wirklich eine Lesung. Denn bei diesem Buch, erklärte er, habe er eine innige Beziehung zu jedem Wort, zu jedem Satz.

So gab es „eine säkulare Sicht auf letzte Dinge“. Als Philosoph möchte Schmid verstehen, was auch Religionen zugrunde liege, quasi einen Urgrund. Oben möge es eine Wahrheit geben, so sagte er, unten hingegen gebe es verschiedene Sichtweisen auf die letzten Fragen im Leben. So bleibt er mit seinem Denken anschlussfähig an religiöse Vorstellungen, und der nüchterne Philosoph ist sich seiner Grenzen bewusst: „Menschen wissen nicht, was sie alles nicht wissen.“

„Leben ist mehr als hier und jetzt, es umschließt gar den Tod“

Seine Gedanken zu Sterblichkeit, zu Unsterblichkeit, zur Energie als Lebenszeichen, all diese Themen seien zur Lektüre empfohlen. Zum Umgang mit dem Tod, wie Wilhelm Schmid ihn erlebte, als seine Frau starb, sollen hier die darauffolgenden Phasen noch einmal angesprochen werden, versehen mit Zitaten aus seinem Buch. Viele werden sich darin wiederfinden. Denn fast jeder erwachsene Mensch kennt diese Herausforderung, hat schon geliebte Menschen verloren, Eltern, Großeltern, und je älter wir werden, umso mehr Menschen sind dies. Der Tod mag eine „menschliche Katastrophe“ sein, unvermeidlich ist er gleichwohl.

Ist dann Trauerarbeit zu leisten? Nein, Wilhelm Schmid sieht diese Zeit nach dem Verlust eines geliebten Menschen nicht als Arbeit, für ihn ist es Teil des Menschseins: „Leben ist mehr als hier und jetzt, es umschließt gar den Tod“.

Phasen im Umgang mit dem Tod

1.            Die Verzweiflung

Die erste Zeit nach dem Tod eines geliebten Menschen ist eine gefährliche Zeit, geprägt von Einsamkeit, alles scheint ohne Freude und Bedeutung. Es gilt sie zu überstehen, denn oft sterben zurückgebliebene Partner:innen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang. Bewegung und Selbstfürsorge können hilfreich sein.

2.            Das Hadern

Hadern, das umfasst die Wut, wie das alles so kommen konnte. Ist es nicht eine Zumutung? Wäre der Tod nicht zu vermeiden gewesen? Hinzu kommt das Hadern mit sich selbst. Hätte man Dinge nicht öfter, besser oder anders machen können? „Ausgiebig zu hadern, scheint mir dennoch der richtige Weg zu sein – bis es mir selbst zu viel wird.“

3.            Die Gespräche

„Bloß nicht damit allein bleiben! Nicht sich verschließen!“, reden, sprechen, Zeit haben, mit anderen und auch für andere. Soziale Kontakte pflegen, wie das so technisch ausgedrückt heißt. „Mit den Gesprächen lässt sich das verlorene Leben gemeinsam betrachten, und manches kann anders eingeordnet werden als bisher.“

4.            Die Gewöhnung

Mit der Gewöhnung an die Fehlstelle im eigenen Leben hat das Leben eine Chance zurückzukehren. Es ist anders als zuvor, die Verbundenheit bleibt, doch das Leben setzt sich fort, „… eine Rekonsolidierung findet statt, wie Psychologen das nennen.“

5.            Die Magie

Merkwürdige Dinge geschehen, immer wieder scheint es Zeichen zu geben, die an die Verstorbene erinnern. Die seltene türkisfarbene Sternschnuppe im Urlaub, wo türkis doch die Lieblingsfarbe seiner Frau war und vieles mehr. „Jede Situation ist für sich als Zufall erklärbar, aber ist es auch die Verkettung?“

6.            Die Dankbarkeit

Es braucht „schöne Projekte“, damit die „schönen Erinnerungen“ gepflegt werden können und erhalten bleiben. Im Falle von Wilhelm Schmid zählte dazu auch, neben dem Kontakt zu den Kindern, den Reisen, die er unternahm, dieses Buch zu schreiben.

7.            Die Diesseitigkeit

„Das alltägliche Leben überbrückt mit seiner Oberfläche den Abgrund, den der Tod aufgerissen hat.“ Der Umgang mit anderen wird wieder leichter, und die Intensität der Erinnerung wird geringer.

8.            Die Heiterkeit

„Über alle Traurigkeit hinaus ist Heiterkeit das Gefühl und der Gedanke, mit der Endlichkeit versöhnt zu sein und sich in einer Unendlichkeit aufgehoben zu wissen …“

„Omnia vincit amor“. Ein Auftritt, der beeindruckte und nachdenklich machte.

Fragen aus dem Publikum.
Fragen aus dem Publikum.
Signierstunde.
Signierstunde.
Wilhelm Schmid bei der Lesung aus seinem Buch.
Wilhelm Schmid bei der Lesung aus seinem Buch.
Heiterkeit als der „Gedanke, mit der Endlichkeit versöhnt zu sein“...
Heiterkeit als der „Gedanke, mit der Endlichkeit versöhnt zu sein“...