| Netzwerk Mehrwert – nachhaltige Unternehmensethik
Neues Netzwerk Unternehmensethik

In Netzen besser unterwegs als allein

Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie, führte eine lebhafte Diskussion mit oberschwäbischen Unternehmer:innen im „Netzwerk Mehrwert".

Von Stefanie Oeben

Die deutsche Wirtschaft steht vor großen klimapolitischen und technologischen Herausforderungen.  Sie ist zudem belastet durch die Energiekrise in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine. Und der Terrorüberfall der Hamas auf Israel und seine Folgen vergrößern die geopolitischen Probleme weiter.  Kein Wunder, dass es mit Tanja Gönner, der Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) großen Gesprächsbedarf gab bei einer gemeinsamen Diskussionsveranstaltung der Akademie der Diözese Rottenburg Stuttgart und der Stiftung Liebenau.

Die frühere baden-württembergische Ministerin für Soziales, Umwelt und Verkehr ist seit November vergangenen Jahres die erste Frau an der Spitze des BDI und damit wichtigste Wirtschaftslobbyistin in Berlin. Die 52-jährige sprach auf Einladung des von der Akademie initiierten „Netzwerks Mehrwert – nachhaltige Unternehmensethik“ vor rund 60 Unternehmer:innen sowie Vertretern von Wirtschaft und Kommunalpolitik.

Lieber in Systemen denken als in Einzelangeboten

Gleich zu Beginn betonte Gönner, wie wichtig gerade jetzt Netzwerke seien: „Jeder sollte überlegen, wie es gelingen kann, durch erfolgreiches Vernetzen die Transformation erfolgreicher zu machen. Unser Industrieland ist mehr als nur seine Großunternehmen." Vielmehr sei die deutsche Wirtschaft deshalb so stark geworden, weil es immer wieder gelungen sei, Wertschöpfungsnetze zu knüpfen. „Wir denken in Systemen, nicht in Einzelangeboten. Dadurch entstehen interessante und weitergehende Innovationen“, sagte Gönner.

Gönner wollte zwar trotz der aktuell negativen Wirtschaftszahlen nicht von Rezession sprechen, doch dass es kein Wachstum gebe, sei beunruhigend.  Es sei zu einfach gedacht, „wenn es in China nicht läuft, dann läuft es bei uns auch nicht“.  Denn bei den Wettbewerbern in Europa laufe die Wirtschaft durchaus wieder auf einem Level wie vor Corona. „Fakt ist, wir verlieren Weltmarktanteile und wir müssen klar benennen, was die Hemmnisse sind“, sagte Gönner. Darüber führe sie auch Gespräche mit der Bundesregierung, denn bei der Politik liege der Schlüssel zur Lösung einiger Probleme.

Deutschen Unternehmen an sich gehe es gut, aber in Deutschland selber gehe es ihnen nur mittelprächtig. Gönner will dafür nicht die Schuld bei der EU abladen, denn der größte Teil der Investitionen deutscher Unternehmen finde im europäischen Ausland, erst danach in den USA und China statt. „Das zeigt, dass nicht alles schlecht sein kann, was aus Brüssel kommt, vielmehr haben wir ein Problem am Standort Deutschland“, sagte Gönner. Die Arbeitslosenzahlen spiegelten das Problem aktuell nicht wider, da der Mangel an Arbeitskräften zu groß sei. Deshalb, so Gönner, habe sie im Bundeswirtschaftsministerium angeregt, einen Investitionsindikator zu entwickeln, anhand dessen sich der Zustand der Wirtschaft besser ablesen lasse. „Die Stimmung ist jedenfalls teils aggressiv.“

Und dann kommt auch noch das Finanzamt

Gönners Analysen lösten einen rege Diskussion aus; immer wieder wurden – mit ganz konkreten Beispielen aus dem Alltag – die Themen Arbeitskräftemangel und bürokratische Hürden angesprochen. Den Arbeitskräftemangel möchte Gönner mit mehr Anreizen für Menschen im Rentenalter begegnen. Zudem sei die Teilzeitquote von Frauen zu hoch, und Zugewanderte müssten schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ein Teilnehmer schilderte das Beispiel eines Hoteliers, der seinen Mitarbeitern günstigen Wohnraum anbot, weil Wohnungsnot und hohe Mieten für Zugewanderte große Hürden darstellten. Dann aber habe sich das Finanzamt gemeldet und dies als geldwerten Vorteil bewertet, weil der Hotelier unterhalb des Mietspiegels vermiete. Gönner bezeichnete dies als ein Beispiel, das nicht ad hoc gelöst werden könne, aber es sei wichtig, dass die Politik solche Wechselbeziehungen verstehe und sich um Lösungen bemühe. Der BDI setze sich gegen jede Form der Überregulierung ein. So unterstütze sie die Klimaziele der Bundesregierung voll und ganz, doch es reiche aus, Zielvorgaben zu machen. Wie das Ziel erreicht werde, solle den Unternehmen selbst überlassen werden.

Trotz der vielen wirtschaftlichen Probleme  gab es am Ende der Veranstaltung aber auch Grund zum Schmunzeln. Denn Tanja Gönner, die seit elf Jahren im Aufsichtsrat der Stiftung Liebenau sitzt, ist seit einem Jahr auch Mitglied im Aufsichtsrat des VfB Stuttgart. Auf die Frage von Moderatorin Barbara Thurner-Fromm, wie nachhaltig Gönner die Transformation des Bundesligisten von Dauer-Abstiegskandidaten zum „Wunder von Stuttgart“ (wie dieser Tage die Medien titelten) bewerte, zeigte auf ihre rot-weißen Sneakers aus der VfB-Kollektion und mahnte, demütig zu bleiben: „Wir möchten einfach mal das Ende einer Saison ohne Zittern erreichen.“

Das „Netzwerk Mehrwert“:

Die Veranstaltungsreihe „Netzwerk Mehrwert“, die sich auf die Region Oberschwaben konzentriert, wurde auf Anregung des Kuratoriums der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart ins Leben gerufen. Die Auftaktveranstaltung fand 2019 mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Thema Europa statt. Bei einer vorgeschalteten Fragerunde äußerten die Teilnehmer:innen den Wunsch nach mehr branchenübergreifendem, wissenschaftlich und politisch fundiertem Austausch auf regionaler Ebene über wirtschaftsethische Themen und über Fragen nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem bekundeten sie Interesse an einem wechselseitigen Einblick in unterschiedliche Unternehmen und an konkreten Gesprächen vor Ort. Zwischenzeitlich hat das durch die Corona-Krise und den Krieg Russlands gegen die Ukraine erzwungene Krisenmanagement in den Unternehmen das Thema in den Hintergrund treten lassen. Nun aber setzen die weltpolitischen und gesellschaftlichen Veränderungen (Lieferketten, Energiesparzwang, Fachkräftemangel, Inflation, Migrationsdruck u.a.) wirtschaftsethische Aspekte in neuer Dringlichkeit auf die Tagesordnung.

Die nächste Veranstaltung im „Netzwerk Mehrwert – nachhaltige Unternehmensethik“ findet am Montag, 15. Januar bei „Schwörer Haus KG" in Hohenstein-Oberstetten statt. Gast ist Landesbauministerin Nicole Razavi.