| Dr. Ilonka Czerny | Kunst
Ausstellung

Die Versöhnlichkeit des Nebels

Yi Sun und Xianwei Zhu zeigen im Tagungszentrum Hohenheim unter dem Titel "anderswo" Werke, in denen sich ihre Europa-Erfahrungen mit ihren chinesischen Wurzeln verbinden.

Von Miriam Hesse

Man möchte an der Linse drehen, scharf stellen, näher kommen. Aber Xianwei Zhus Tuschmalereien auf chinesischem Papier verweigern sich diesem Impuls. Sie zeigen Naturlandschaften, doch sie sind keine Orts-, sondern Zustandsbeschreibungen des nach eigener Einschätzung vor allem vom Expressionismus inspirierten Malers. Bei „Auf der Suche nach der Freiheit“ etwa wirken Baum und Berg auf den ersten Blick in melancholische Kälte getaucht, die Sonne dringt nur schwach durch den Nebel. Doch letztlich nimmt eben diese natürliche Verschleierung der trüben Stimmung ihre Last, taucht sie ein in allumfassende Versöhnlichkeit.

Auch Yi Suns fotorealistische Arbeiten huldigen dem Trost der Verschwommenheit. Ihre kleine Werkgruppe „Das Meer in mir“, welche akribisch mit dem Bleistift gezeichnet wurde, ist eine Sehnsuchtserklärung an ihre Kindheit – schwarz-weiß gewordene Erinnerung. Als „gemalte Poesie“ beschreibt Ilonka Czerny, Fachbereichsleiterin für Kunst der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, denn auch die Werke, die unter dem Titel „anderswo“ bis 13. Februar 2022 im Tagungszentrum Hohenheim zu sehen sind.

Clash der Kulturen?

„Wanderer zwischen den Welten“ nennen sich die beiden Künstler, die seit mehr als 20 Jahren in Deutschland leben, aber auch noch fest mit China verbunden sind, wo er als Kunstprofessor arbeitet. Manchmal könne man schon etwas verrückt werden zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Kulturen, sagt der 50-Jährige: „Alles ist so unterschiedlich. Die Menschen, die politischen Systeme, das Essen, die Wertesysteme.“

Beide haben auch in Deutschland Kunst studiert und erkennen sehr wohl, dass sich vieles trotz „cultural clash“ mit der Zeit auf natürliche Weise verbinden kann. So müssten das europäische Individualitätsstreben und der chinesische Wunsch nach Einigkeit mit der Gemeinschaft beim Einzelnen nicht unbedingt ein Widerspruch sein, sagt Yi Sun und lacht: „Ich freue mich über Gesellschaft, aber ich genieße es auch, Raum für mich zu haben.“

Xianwei Zhu, Ausschnitt aus »Auf der Suche nach der Freiheit«, Acryl auf Leinwand, 54 x 38 cm
Xianwei Zhu, »Cold Mountain Nr. 1«, Acryl auf Leinwand (3-teilig), 116 x 219 cm
Yi Sun, »Verschwommene Erinnerung Nr. 3«, Acryl auf Leinwand, 80 x 80 cm
Xianwei Zhu, »Wang Ji Nr. 1«, Tusche auf chinesischem Papier, 70 x 140 cm
Xianwei-Zhu, Eisgebirge
Yi Sun und Xianwei Zhu bei der Vernissage von „anderswo“ im Tagungszentrum Hohenheim
Bei der Vernissage zur Ausstellung der beiden chinesischen Künstler konnten sich die BesucherInnen mit Reissuppe stärken.