| Dr. Verena Wodtke-Werner | Kirche und Gesellschaft
Salonabend

Donuts und andere Buch-Schmankerl

Beim dritten Politisch-Philosophischen Salon in Hohenheim diskutierten der Tübinger OB Boris Palmer, Risikoforscher Ortwin Renn und die Politikerin Annette Schavan inspirierende Ideen.

Von Miriam Hesse

Boris Palmers Zeugnis für die Pandemiepolitik in Deutschland, selbstverständlich nur die außerhalb Tübingens, fällt nicht sehr positiv aus. Was er die „Methode Lauterbach“ nennt, war aus seiner Sicht „kein evidenzbasiertes, sondern von Angst und Panik geprägtes Vorgehen." Und: "Warum die Bekämpfung einer Krankheit, die quasi ausschließlich Erwachsene schwer trifft, vor allem auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird, habe ich nie verstanden und nie akzeptiert“, betonte der Oberbürgermeister Tübingens am Mittwochabend beim Politisch-Philosophischen Salon im Tagungszentrum Hohenheim. Als „literarisches Terzett“, wie das Podium ironisch konstatierte, diskutierten Palmer, die CDU-Politikerin und frühere Bildungsministerin Annette Schavan und der Risikoforscher Ortwin Renn Bücher von Autoren, die einen innovativen Umgang mit aktuellen und dringlichen gesellschaftlichen Problemen aufzeigen.

Mehr positives Denken

So sieht sich Palmer gerade als kritischer Grünen-Politiker von Hans Roslings „Factfulness“ darin bestätigt, dass „der grüne Glaube, dass nur wir die Welt retten können, ein Irrglaube ist“. Gilt Rosling doch als Meister des datenbasierten Optimismus, dem mit entsprechender grafischer Umsetzung erstaunliche Aha-Effekte gelingen. So kann er zum Beispiel belegen, dass insbesondere die Lage in ärmeren Ländern oft besser ist als gedacht. Diesem Anti-Panik-Konzept traut Palmer mehr Zukunftsfähigkeit zu als den Appellen der Aktivistin Greta Thunberg, die klimakatastrophisch fordert: „I want you to panic!“

Mehr positives Denken beim Thema Migration wiederum schlägt Parag Khanna in seinem Buch „Move“ vor, das für Annette Schavan durch einen überzeugenden Umgang mit Zahlenmaterial belegt, welche großen Chancen in der Zuwanderung auch für Europa stecken. „Migranten halten den Laden in Schwung“, sei die Kernthese des Politikforschers Khanna, sagte Schavan – und damit seien keineswegs nur die Hochgebildeten und Bestausgebildeten gemeint.

Wohlstand oder Wohlbefinden?

Wie der Umgang mit Zuwanderung dann auch ganz konkret – etwa bei Themen wie Arbeitserlaubnis oder kultureller Assimilation – gelingen kann, wollten ZuhörerInnen aus dem Publikum wissen. „Man muss das Spiel der Freiheiten zulassen und dabei Regeln einhalten“, empfahl der Soziologe Renn diplomatisch, der selbst wiederum die „Donut-Ökonomie“ von Kate Raworth vorstellte. Mit dem Bild vom „süßen amerikanischen Teilchen“, wie Renn erklärte, illustriere die britische Wirtschaftswissenschaftlerin hervorragend den Unterschied zwischen Wohlstand und Wohlbefinden. Der äußere Rand stelle die Grenze des Planeten und seiner Ressourcen dar, der innere die existenziellen Bedürfnisse der Menschen. Eingebettet in beide sei eine gesunde Gesellschaft. „Ebenso genial wie banal", befand Boris Palmer dieses Denkbild in der anschließenden Diskussion – und es blieb seinem rhetorischen Talent vorbehalten, mit dem Abschlusssatz in nur wenigen Worten von der Weltwirtschaft zurück zum „Tübinger Erfolgsmodell“ zu finden.

Auch der Bucherfolg "Die Donut-Ökonomie" von Kate Raworth wurde beim Politisch-Philosophischen Salon in Hohenheim diskutiert.
Auf Buchschmankerl folgte Dinner-Talk (von links): Der Tübinger OB Boris Palmer, der Soziologe Ortwin Renn, die Politikerin Annette Schavan und die Akademiedirektorin Verena Wodtke-Werner