| Dr. Ilonka Czerny | Kunst
Das Werk der Woche (5)

Eine "Kunstfigur" als Schutzpatron

Da Sie die großartigen motivierenden Werke unserer Ausstellung "Kunst ist Lebensbereicherung" derzeit nicht vor Ort betrachten können, kommen wir zu Ihnen. Heute mit Daniel Bräg.

An der grauen Betonwand des Tagungszentrums Hohenheim hängt rechts vom Eingang zur Kapelle ein einzelnes Bild. Genauer gesagt ist es ein Schwarz-Weiß-Foto mit einem dicken, schweren, schwarzen Holzrahmen in der Art des Barock. Die Abbildung zeigt einen gut gekleideten Mann, der auf der Polsterung einer Kirchenbank kniet. Die Innenausstattung deutet auf eine Kirche des Historismus hin. Der Kirchenbesucher scheint in sich versunken, die Hände sind zum Gebet gefaltet. Außer dem Betenden und dem Fotografen wirkt der Kirchenraum menschenleer. Der Besuch der Kirche liegt außerhalb einer Eucharistiefeier oder Andacht. Die Fotografie ist in Corona-Zeiten entstanden, die Schleifen an den Bänken dienen der Abstandsmarkierung. Für wen oder was betet dieser Mann? Ist er oder ein Familienangehöriger krank? Hat er gar einen Angehörigen oder seine Arbeit verloren?

Der Titel der Arbeit gibt über das Gebetsanliegen Aufschluss: „Der Heilige Daniel betet für die Diözese Rottenburg-Stuttgart“ (Werkangaben: Daniel Bräg, Der Heilige Daniel betet für die Diözese Rottenburg Stuttgart, 2020, Fotografie, 25 x 38 cm (Foto), im Besitz des Künstlers) Der Kirchen-Kanon der Heiligen weist den Gedenktag des Heiligen Daniel, der als Schutzpatron der Bergleute gilt, am 21. Juli aus. In der Kunstgeschichte wird Daniel oft in einer Löwengrube dargestellt. Schon seit Kindertagen kennt man den Propheten des Alten Testamentes umringt mit zahmen Löwen, denen er eigentlich zum Fraß vorgeworfen wurde, weil er trotz eines Gebetsverbotes am Hof des Königs Nebukadnezar sich bittend an Gott wandte. Der Heilige Daniel ist laut Selbstauskunft „der Schutzheilige der Künstler“, dem der Münchner Künstler Daniel Bräg seine Physiognomie verleiht. Im kirchlichen Kanon wird der Heilige Lukas unter anderem als Schutzpatron der Künstler und der künstlerischen Berufe verehrt, da er der Legende nach Bilder der Muttergottes und der Heiligen Petrus und Paulus gemalt haben soll. Auf die Frage, warum der Heilige Daniel für die Diözese Rottenburg-Stuttgart betet, antwortete Bräg: „Er betet für die Diözese Rottenburg-Stuttgart, damit sie die Kraft und die Mittel findet, die Künstler in dieser schweren Zeit zu unterstützen, mit Ausstellungshonoraren und Ankäufen und Öffentlichkeit gegen die Not der Künstler.“ In seinem Kunstwerk macht er sich zum Anwalt der Künstler, in dem er in die Rolle einer Kunstfigur, die des Heiligen Daniel, ‚schlüpft‘. Die Irritation könnte kaum größer sein. Auf den Hinweis, Heilige sind Fürsprecher bei Gott und beten nicht, antwortete Bräg lakonisch: „Beim Heiligen Daniel ist alles anders.“ Macht es sich der Künstler mit dieser lapidaren Aussage nicht zu einfach? Ist dieser Rollentausch am Ende sogar blasphemisch? Darf er sich bzw. seinen eigenen Stellvertreter in den Stand der Heiligkeit versetzen? Vom Kirchenverständnis her ist diese Heiligkeit bei Daniel insofern gerechtfertigt, als wir – die Gläubigen – durch die Taufe und den Gottesglauben als „Heilige Gottes“ bezeichnet werden dürfen. Der Künstler Bräg erläutert in einer weiteren E-Mail seine Version des Heiligen Daniels folgendermaßen: „Er ist ja noch nicht im Himmel, er wirkt hier auf Erden für die Künstler. Der Heilige Daniel ist theologisch nicht zu erklären, er ist Kunst. Er nimmt die Form der Kirche (das Beten) auf, um den Theologen verständlich zu werden. Die Not der Künstler ist GROSS, im Moment.“

Bereits mehrfach nimmt Daniel Bräg diese Rolle des Heiligen Daniel in seinen eigenen Kunstwerken ein. Die Reliquienbüste des Heiligen Daniel, hier eine Arbeitsfotografie im Atelier des Künstlers, ist ein weiteres Beispiel. Daniel Bräg porträtierte sich plastisch mit Hilfe eines 3D-Scanners im Maßstab 1:1. Dieser Scan wurde anschließend in Holz übertragen. In der Brust der Skulptur ist ein kleines Glasröhrchen mit dem Blut des Künstlers eingearbeitet. Reliquienverwahrungen gab es bereits in der urchristlichen Gemeinde, auf den Gräbern der Apostel und anderer Märtyrer wurden Kirchen errichtet, später gab es Büsten und Ziborien zur Verwahrung und Verehrung von Heiligenreliquien. Das Selbstporträt des Künstlers mit Eigenblut in der Art von Reliquienbüsten klingt zunächst anmaßend, vor allem, wenn man im Konzeptpapier des Künstlers lesen kann: „Der Heilige Daniel ist der Fürsprecher der Künstler.“ Erlaubt sich der Künstler auch in diesem weiteren Heiligen-Daniel-Kunstwerk einen Scherz? Oder ist dieser Rollenwechsel vielleicht schon pathologisch? Leidet der Künstler an Schizophrenie? Bräg hat diese Kunstform ganz bewusst gewählt. Er hat nie behauptet, der Heilige Daniel zu sein, er benennt jedoch – durchaus humorvoll – Porträts von ihm mit „Heiliger Daniel“.

Die Kunstfigur des „Heiligen Daniels“ mutiert zur Stellvertreterfigur für die Künstlerperson. Bräg selbst schlüpft in eine Kunstfigurenrolle, um seine Anliegen bzw. die einer ganzen Berufsgruppe vorzubringen. Warum nutzt er dafür die Mittel der Kunst? Er nimmt wahr, dass Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden – vor allem in Corona-Zeiten – noch weniger als in Pandemie freien Zeiten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geschenkt wird. Das Berufsbild des Künstlers zählt neben denen der Gastronomen zur gesellschaftlich System unrelevantesten Berufsgruppe. Nicht Wenige haben Existenzängste, können sich Atelier und Wohnung nicht mehr leisten und sind auf Harz IV angewiesen. Die Hilfe-Rufe und Petitionen, die von den Künstlern direkt ausgehen, verhallen. Somit ist es die Kunst selbst, die auf das Desiderat der Künstlerinnen und Künstler aufmerksam machen muss. Daniel Bräg nutzt die einzige „Waffe“ für seinen Appell, die er besitzt: die Kunst. Damit erreicht er zudem die Gruppierungen, bei denen der Hilfe-Ruf ankommen soll: Bei den Betrachtern, den Kunstliebhabern und den Kunstverantwortlichen.

Ilonka Czerny

P.S. Als eine dieser Verantwortlichen kann ich mitteilen: Die Botschaft ist angekommen und wird gehört. Wir sind auf dem Weg des Handelns.
 

 

Dieser Artikel ist Bestandteil unserer Reihe "Das Werk der Woche":

 

Meister von Pfullendorf (Daniel Bräg zugeschrieben), Reliquienbüste des Hl. Daniel, um 2017, Eiche (gefräst), Glas, Blut, ca. 55 x 45 x 30 cm, im Besitz des Künstlers
Daniel Brägs Werk im Tagungszentrum Hohenheim
Daniel Bräg, Der Heilige Daniel betet für die Diözese Rottenburg Stuttgart, 2020, Fotografie, 25 x 38 cm (Foto), im Besitz des Künstlers