| Dr. Hussein Hamdan
Jahrestagung Islamberatung

Gemischte Zwischenbilanz

Coronabedingt nur online hat die Islamberatung über ihre bisherige Arbeit berichtet und einen Blick auf die Islamlandschaft in Baden-Württemberg geworfen.

Die Jahrestagungen stellen den Höhepunkt der Arbeit des Projektes „Muslime als Partner in Baden-Württemberg“ dar, das besser als „Islamberatung“ bekannt ist. Alljährlich greifen sie Schwerpunkte aus der Beratungspraxis auf. Unter dem Titel „Die Rolle der Frauen in Islamgemeinden“ hat sich das Team für dieses Jahr ein besonders wichtiges umstrittenes Thema ausgesucht. Um der Bedeutung dieses Themas gerecht zu werden, wurde diese Tagung angesichts der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben.

Stattdessen wurde kurzfristig am 17. November 2020 online über die aktuelle Arbeit sowie Entwicklungen im Projekt berichtet und die derzeitige Situation der Islamlandschaft in Baden-Württemberg diskutiert. Rund 70 Online-TeilnehmerInnen aus der kommunalen Verwaltung, aus Islamgemeinden und Journalismus nutzten diese Gelegenheit und beteiligten sich über den Chat an den Diskussionen auf dem Podium.

Für die Robert-Bosch-Stiftung, die die Islamberatung seit ihrem Beginn im Jahre 2015 fördert, betonte Fabia Göhring, dass MuslimInnen zwar Teil deutscher Realität seien, muslimisches Leben jedoch nicht als Teil der Normalität verstanden werde. In dieser Situation trage die Islamberatung zur Stärkung islambezogener Kompetenzen in Kommunen, der Einbindung islamischer AkteurInnen in kommunale Prozesse sowie der konstruktiven Klärung islambezogener Fragen bei und leiste damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe von MuslimIinnen.

Zahlreiche Kommunen bereits mehrfach beraten

Im virtuellen Gespräch blickten Projektpartner Prof. Dr. Andreas Pattar von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl und der Projektleiter und Islamberater Dr. Hussein Hamdan gemeinsam auf die Entwicklung der Islamberatung im vergangenen Jahr und besondere Beratungen zurück.

Im zurückliegenden Jahr wurden 20 Beratungen durchgeführt. Aufgrund der Corona-Pandemie fanden einige davon online oder telefonisch statt. Seit dem Projektbeginn wurde das Beratungsangebot etwa 175 Mal in Anspruch genommen, zuletzt zunehmend von kleineren Gemeinden. Nicht selten ließen sich Kommunen auch mehrfach beraten. Die große Nachfrage nach dem Angebot spiegelt sich auch darin wider, dass seit einiger Zeit ein Beratungsteam aus vier Personen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten die Anfragen bearbeitet. Besonders häufig berät das Team zur Einschätzung islamischer Gruppen vor Ort, aber auch zu Moscheebauprojekten, einer besseren Einbindung der lokalen Islamgemeinden in kommunale Handlungsfelder und den Themen Gender bei Geflüchteten gab es oft Fragen.

Öffentlicher Gebetsruf im Ramadan

Während des islamischen Fastenmonats Ramadan, der wie vieles andere auch von der Corona-Pandemie betroffen war, gab es seitens einiger Moscheegemeinden den Wunsch, den Gebetsruf nach außen zu übertragen. Anhand dieses Beispiels erklärte Hamdan, dass die Islamberatung bei ihren Empfehlungen verschiedenste Aspekte (so auch die mögliche Instrumentalisierung durch rechtspopulistische Kräfte) miteinbezieht und daher beim öffentlichen Gebetsruf eher zur Vorsicht riet.

Trotz zahlreicher positiver Entwicklungen etwa bei der Etablierung der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten oder Fortschritten bei islamischer Seelsorge blickte Hussein Hamdan auch ernüchtert auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre. So habe die Muslimfeindschaft zugenommen. Von den islamischen Verbänden wünschte sich Hamdan mehr Engagement bei der Schaffung professioneller Strukturen sowie mehr Einsatz für besseres Personal und weniger Priorität auf repräsentative Moscheebauten. Angesichts immer noch großer Unsicherheit bei vielen Kommunen hinsichtlich der Einordnung islamischer Gruppierungen hielt er eine gemeinsame Handreichung von verschiedenen Sicherheitsbehörden für wünschenswert, die besonders bei Verbänden, die im Ruf stehen, islamistisch zu sein, mehr Klarheit schafft.

Imamausbildung und Seelsorge wichtige Themen

Wie sieht die Islamlandschaft in Baden-Württemberg aktuell aus? Und welche Themen spielen derzeit eine besonders wichtige Rolle? Diesen Fragen widmete sich ein von Christina Reich moderiertes Podium mit Hussein Hamdan und Claus Preißler, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Mannheim. Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie ging es dabei auch um die Ausbildung von Imamen. Während Hussein Hamdan auf das weit verbreitete Missverständnis verwies, die universitären Zentren für Islamische Theologie könnten Imame ausbilden, sprach sich Claus Preißler für in Deutschland ausgebildete Imame aus, die ihre Position aufgrund ihrer Sozialisierung in Deutschland adäquater ausfüllen könnten. In diesem Zusammenhang sah er das neu errichtete Islamkolleg in Osnabrück als Chance.

Einig waren sich Preißler und Hamdan darin, dass die Etablierung islamischer Seelsorge ein sehr wichtiger Schritt hin zur Anerkennung der Normalität in vielen Krankenhäusern sei. Das Mannheimer Institut für die Ausbildung muslimischer SeelsorgerInnen fülle dabei eine Lücke. Es ermögliche MuslimInnen ihre Kompetenzen in Krankenhäusern einzubringen – nicht nur für muslimische PatientInnen.

Islamfeindlichkeit gesellschaftliches Problem

Mit Sorgen blickten Hamdan und Preißler auf die zunehmende Islamfeindlichkeit. Claus Preißler beobachtet nach den jüngsten islamistischen Anschlägen in Frankreich und Österreich eine Eskalationsspirale, in der extremistische Kräfte auf beiden Seiten immer mehr Öl ins Feuer gießen. Zugleich hätte er sich nach den Attentaten einen lauteren Aufschrei auf muslimischer Seite und einen stärkeren Diskurs innerhalb der islamischen Gemeinschaft darüber gewünscht, wie mit Kritik umzugehen ist. Hussein Hamdan hält es nicht für nötig, dass sich Islamverbände nach jedem islamistischen Anschlag abgrenzen, sieht sie jedoch in der Pflicht, stärker zu überlegen, was sie gegen Islamismus unternehmen können. Mit Blick auf die vergangenen Jahre sah er einen großen Fehler darin, dass die mediale Aufmerksamkeit vor allem auf salafistischen und islamkritischen Stimmen lag. Für ihn ist zentral, dass der Zusammenhang zwischen Islamkritik und Rassismus in der gesamten Gesellschaft und nicht nur unter MuslimInnen diskutiert wird.

Handreichung mit Handlungsempfehlungen

Um kommunalen AkteurInnen in vielen Fragen, die auch bei der Vormittagsveranstaltung diskutiert wurden, konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben, verfassen Hussein Hamdan und Christina Reich derzeit eine kompakte Handreichung. Sie wird in Kürze auf der Homepage der Akademie erscheinen.

Neben der verschobenen Jahrestagung zur Rolle von Frauen in Islamgemeinden sind 2021 weitere Veranstaltungen geplant. Im Februar widmet sich eine Tagung der islamischen Gruppierung der Ahmadiyya, die auch im kommunalen Kontext immer mehr an Bedeutung gewinnt. Eine Neuerung stellt die regionale Islamberatungstagung im April dar, die auf den Raum Bodensee-Oberschwaben zugeschnitten ist. Fortgesetzt wird darüber hinaus das etablierte Qualifizierungsangebot „Islam im Plural“.

(Tim Siegmund)

 

 

 

 

 

 

Mit Sicherheitsabstand: Dr. Hussein Hamdan (links) und der Integrationsbeauftragte der Stadt Mannheim, Claus Preißler, diskutieren unter der Moderation von Christina Reich.
Statt Gästen nur Technik im Raum – und Matthias Häußler, der für einen reibungslosen technischen Ablauf sorgt.