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Exkursion

Klöster: Alte Gemäuer, neue Ideen

Seit 200 Jahren erleben (ehemalige) Klöster immer wieder Transformationsprozesse. Dass gerade Frauengemeinschaften offen sind für Innovation, zeigte eine Tagung in Weingarten und Heggbach.

Von Johannes Kuber

Erst die Säkularisation, dann der Verfall: Von dieser Vorstellung ist die Ordens- und Klostergeschichte häufig geprägt. Dabei hat die erzwungene Zäsur Anfang des 19. Jahrhunderts in vielen Fällen zu bemerkenswerten Anpassungsleistungen und Neukonzeptionen geführt, etwa zur Neugründung oder Wiederbesiedelung aufgehobener Klöster um 1900, insbesondere durch weibliche Orden. Auch im 20. und 21. Jahrhundert mussten und müssen Klöster und geistliche Frauengemeinschaften immer wieder neue Antworten auf die gesellschaftlichen Veränderungen und Umbrüche finden, etwa durch die institutionelle Überführung in Stiftungen oder die Veränderung theologischer Sichtweisen auf das geistliche Leben.

Wissenschaft trifft Praxis

Diese positive Perspektive deutlicher auszuleuchten, war die Idee einer von Professor Dietmar Schiersner (PH Weingarten) initiierten Tagung, die der Fachbereich Geschichte im September 2022 gemeinsam mit dem Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der St. Elisabeth-Stiftung durchführte. Rund 50 Teilnehmer:innen aus Wissenschaft und Praxis kamen dabei miteinander ins Gespräch, was interessante Blickwechsel ermöglichte.

Auf grundlegende Vorträge zum Wandel von Klöstern und geistlichen Gemeinschaften in Deutschland, Österreich und Frankreich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts folgten verschiedene historische Fallstudien. Anschaulich stellte Ilse Schmitz, die „Haushistorikerin“ der Kölner Cellitinnen, die Entwicklung dieser Gemeinschaft von einer Krankenpflegegemeinschaft hin zu einem modernen Sozialkonzern mit heute 4.500 Mitarbeiter:innen dar. Kirsten Gläsel (Essen) analysierte am Beispiel der Schwestern vom Guten Hirten, wie sich das Zweite Vatikanische Konzil auch auf weibliche Ordensgemeinschaften auswirkte. So widmete sich der Orden vorkonziliar unter strenger Autorität der Oberin vor allem der Seelenrettung „gefallener Mädchen“. Nach dem Konzil wurde 1969 in einem partizipativen Verfahren eine neue Konstitution erarbeitet, in der auch das theologische Leitbild angepasst wurde: Der Fokus der Arbeit lag nun nicht mehr jenseits-orientiert auf dem Seelenheil, sondern allgemein auf dem Wohl benachteiligter Frauen.

Die Wirtschaftssoziologin Isabelle Jonveaux (Graz) stellte auf Basis umfangreicher empirischer Forschungen die häufigsten aktuell praktizierten Modelle der Klosterwirtschaft vor. Dazu gehören z.B. die externalisierte Wirtschaft, in der insbesondere Männerklöster Lizenzen etwa für das Bierbrauen vergeben, aber auch die Vermögenswirtschaft oder das Modell der Alterswirtschaft, in dem kleine Gemeinschaften von den Pensionen der älteren Schwestern leben. Eine große Herausforderung sei dabei immer, die richtige Balance zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und geistlichem Klosterleben zu finden. Frauenklöster seien zudem strukturell benachteiligt, da z.B. ordinierte Mönche durch ihre Tätigkeit als Priester deutlich bessere Verdienstmöglichkeiten hätten. Auch im Kloster werden patriarchale gesellschaftliche Strukturen also reproduziert – auch, wenn Nonnen beispielsweise im Dienst von Ordenspriestern arbeiten.

Beeindruckende Einblicke

Dass sie sich von solchen Umständen nicht aufhalten lassen, demonstrierten die Vertreterinnen verschiedener Frauengemeinschaften in ihren Berichten aus der Praxis. Das materielle und ideelle Erbe, das sie verwalten, liegt mittlerweile in den Händen immer weniger und immer älterer Ordensfrauen; der Altersdurchschnitt liegt meist jenseits der 80. Dennoch entwickeln sie voller Elan neue Ideen, wie sie dieses Erbe erhalten und weitergeben können, etwa durch die Gründung von Stiftungen. So stellte Schwester Katharina Wildenauer, Generaloberin der St. Josefskongregation im bayerisch-schwäbischen Ursberg, die Entwicklung des ehemaligen Prämonstratenserklosters dar, in dem 1884 eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung gegründet wurde. Schon 20 Jahre später war die Zahl der Bewohner:innen von ursprünglich 12 auf 1.400 gestiegen, betreut von rund 370 Schwestern. Seit 1996 wird die Einrichtung als Stiftung mit aktuell 5.000 Mitarbeitenden betrieben. Von verschiedenen Strategien, mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen, berichteten auch Schwester Benedicta Ewald von den Franziskanerinnen in Schwäbisch Gmünd und Hildegard Brem, Äbtissin der Zisterzienserinnenabtei Mariastern-Gwiggen. Die Kulturmanagerin Ulrike Rose und die Dominikanerin Josefa Thusbaß stellten gemeinsam ihr Projekt Zukunft Kulturraum Kloster e.V. vor, dass die Transformation von Klöstern als „Chance für Orden und Gesellschaft“ begleitet. Vor welche komplexen Aufgaben dabei bisweilen der Denkmalschutz gestellt ist, veranschaulichte anhand verschiedener Beispiel Martina Goerlich vom Landesamt für Denkmalpflege.
Exkursion nach Heggbach

Als besondere Bereicherung empfanden viele Teilnehmer:innen die Exkursion nach Heggbach. Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster bei Maselheim im Landkreis Biberach ist heute als Teil der St. Elisabeth-Stiftung eine Wohnanlage für Menschen mit Behinderung. Auch architektonisch passte sich Heggbach in seiner Funktionalität den gewandelten Bedürfnissen an. Im Festsaal vor Ort gab Sophie Prasse (Tübingen) anhand alter Klosterchroniken spannende Einblicke in die Zeit der napoleonischen Kriege und der Säkularisation, in der sich die einst stolze Reichsabtei in eine nur noch geduldete, als „nutzlos“ angesehene Gemeinschaft verwandelte. 1888 wurde Heggbach den Franziskanerinnen zur Einrichtung einer Heilanstalt übertragen, die im Nationalsozialismus auch Ziel der mörderischen „Euthanasie“ war. Wie Detlev Naeve (Willstätt) schilderte, wurden insgesamt 252 Patient:innen getötet. Er betonte aber auch, dass es seitens der Einrichtung zumindest partielle Resistenz gegeben habe: Die Oberschwester legte in Stuttgart Protest ein, die Aufnahme neuer Kinder wurde verschwiegen, Bewohner:innen wurden versteckt, wenn die berüchtigten grauen Busse kamen. In einem gut besuchten öffentlichen Abendvortrag blickte Maria Magdalena Rückert (Ludwigsburg) schließlich auf 800 Jahre Heggbacher Klostergeschichte zurück – rund 20 Generationen von insgesamt 800–1.000 Ordensfrauen. Zwischen diesen historischen Einblicken führte Eva Sorg von der St. Elisabeth-Stiftung die Exkursionsgruppe gemeinsam mit aktuell und früher in Heggbach tätigen Franziskanerinnen über das Gelände, durch den frisch sanierten Kreuzgang und das neu eingerichtete kleine Museum. Eine Bewohnerin erzählte im Gespräch von ihrem Alltag in einer der zahlreichen Heggbacher Wohngruppen.

Insgesamt machten Vorträge und Gespräche deutlich: Klöster und Ordensgemeinschaften stehen vor großen Herausforderungen, doch Tatkraft und Ideen sind genügend vorhanden – und der Blick in die Geschichte zeigt, dass Transformationen durchaus gelingen können.

Eva Sorg von der St. Elisabeth-Stiftung führte die Teilnehmer:innen durch die Heggbacher Anlage.
Vor dem Haupttor der ehemaligen Reichsabtei Heggbach.
Der frisch sanierte Kreuzgang des historischen Konventsgebäudes in Heggbach.