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Afrika-Gespräche

Kolonial – war das nur gestern?

„Geschichten der deutschen Gegenwart", stand als Motto über den Afrika-Gesprächen der Akademie. Denn Menschen mit afrikanischen Wurzeln erleben „koloniales“ Verhalten hierzulande oft bis heute.

Von Thomas Broch

„Wo ist Afrika?“ Der Titel der politisch-artistischen Performance des Hope-Theatres aus Nairobi war gleichsam eine Schlüsselfrage der gesamten Tagung „Koloniales Afrika: Geschichten der deutschen Gegenwart“, zu dem die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Rahmen ihrer „Weingartener Afrikagespräche“ im Dezember 2022 nach Stuttgart-Hohenheim eingeladen hatte und die sie gemeinsam mit dem Institut für Afrikastudien der Universität Bayreuth ausrichtete.

Afrika ist nicht einfach Afrika, sondern besteht aus 55 Staaten mit einer jeweils sehr differenzierten Kultur- und Sprachlandschaft. Und Afrikaner:innen leben auch nicht ausschließlich dort. Menschen mit afrikanischen Wurzeln leben auch in großer Zahl in Deutschland, was oft auch eng mit der deutschen Kolonialgeschichte verbunden ist. „Koloniales“ Verhalten begegnet ihnen hierzulande allzu oft auch heute.

Eine wichtige Differenzierung wurde in den Vorträgen und Diskussionen dieser Afrika-Gespräche im Dezember 2022 deutlich: „Kolonialismus“, „koloniales“ Denken und Verhalten, „koloniale“ Wirtschaft und Politik in Deutschland sind nicht auf die verhältnismäßig kurze Zeit von 1884 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs beschränkt, in der Deutschland die viertgrößte Kolonialmacht auf dem Kontinent war. „Kolonialismus“ bedeutet: einseitige Abhängigkeiten und ungleiche Machtverhältnisse, expliziter Rassismus oder teilweise unbewusster und impliziter Alltagsrassismus, der tief in die Alltagssprache hineinreicht und erst allmählich Aufmerksamkeit findet.

Natürlich hat der bis heute vorhandene „Alltags-Kolonialismus“ seine Wurzeln in der deutschen Kolonialgeschichte – eines der finsteren Kapitel der deutschen Geschichte, dessen historische und politische Aufarbeitung erst in den Anfängen steckt. Immerhin ist mit der Anerkennung der Vernichtung der Herero und Nama in Namibia als Genozid und mit dem Bemühen um angemessene Entschädigung ein wichtiger Schritt getan, aber der Maji-Maji-Aufstand etwa in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, von 1905 bis 1908, dürfte bei den wenigsten zum historischen Wissen gehören. Das Narrativ, mit dem deutsche Kolonialgeschichte bis weit in die Gegenwart wiedergegeben wurde, ist das der „guten Kolonialmacht“, die sich gar als „Schutzmacht“ und ihre Soldaten als „Schutztruppen“ verstand. Erst nach und nach löst eine kritische Geschichtsschreibung diese Selbstexkulpierung ab - und gleich wieder wird diese durch den Geschichtsrevisionismus einiger namhafter Historiker:innen konterkariert , die diesen Kolonialismus unter anderem ernsthaft dadurch zu rechtfertigen versuchen, durch ihn sei der Sklaverei entgegengewirkt worden.

Exemplarisch aus dem Kreis der sechs Referentinnen und Referenten sei hier Professorin Dr. Inés de Castro genannt, die Leiterin des Stuttgarter Linden-Museums. Nicht nur versucht sie – auch gegen Widerstände –, das durch die Kolonial-Tradition geprägte Konzept ihres Haus zu verändern und die Auseinandersetzung damit als museumsdidaktische Strategie zu entwickeln; sie gehört auch zur Spitze einer Initiative ethnologischer Museen deutschlandweit, Raubgut aus den ehemaligen Kolonien zurückzugeben. De Castro war bei dem feierlichen Akt in Abuja dabei, wo am 21. Dezember 2022 Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth zunächst zwanzig wertvolle Kunstwerke - die berühmten „Benin-Bronzen" - aus fünf deutschen Museen an die nigerianische Regierung zurückerstattet haben. Aber bei solchen sicherlich wichtigen Gesten von starker Symbolik dürfe es nicht bleiben, sagt de Castro. Ein veränderter, kritischer Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte bedürfe integraler politischer Strategien und eines breiten gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses. Das sei noch ein weiter Weg.