| Kirche und Gesellschaft

Wo bleiben die nötigen Reformen?

Frauen in Ämtern der Kirche – ein Thema bei der Frühjahrssitzung des Kuratoriums, in dem Katholik*innen aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Akademiearbeit begleiten.

Von Barbara Thurner-Fromm

Noch hat die katholische Kirche die Zahlen ihrer Kirchenaustritte für das Jahr 2021 nicht offiziell veröffentlicht. Das geschieht traditionell erst im Juni. Dass den beiden großen christlichen Kirchen die Menschen davonlaufen, bestätigt aber schon eine Umfrage der Deutschen Presseagentur Ende Februar in den Standesämtern von acht baden-württembergischen Städten. In Stuttgart oder Friedrichshafen haben sich demnach die Austritte im Vergleich zu 2020 praktisch verdoppelt, in Ulm sind sie um 50 Prozent gestiegen. Und der Trend beschleunigt sich: So sind in Stuttgart im vergangenen Jahr insgesamt 5894 Kirchenaustritte registriert worden, allein im Januar 2022 waren es bereits 684. Wohlgemerkt: die Zahlen beziehen sich nicht nur auf die katholische Kirche. Wegen der Missbrauchsstudien (zuletzt in Köln und München) steht aber vor allem die katholische Kirche unter Druck. Demnächst wird die Missbrauchsstudie für das Bistum Freiburg veröffentlicht, dann erwarten Insider ein weiteres Beben.

Debatte über innerkirchliche Großbaustellen

Das Missbrauchsthema ist das eine, die Diskriminierung von homosexuellen und queeren Beschäftigten durch die katholische Kirche als Arbeitgeber ist ein weiterer Anlass für Empörung. „#OutInChurch“ die öffentliche Outing-Aktion von mehr als 100 queeren Menschen und ein gleichzeitig dazu gezeigter bewegender Dokumentarfilm über diese Initiative haben neuen, ungeahnten Druck auf die Kirchenoberen erzeugt. Die Akademie unterstützt diese Aktion nicht nur mit Solidaritätsbekundungen auf ihrer Homepage, sondern auch gut sichtbar für alle Besucher*innen Ihrer Tagungshäuser, denn vor dem Eingang flattert eine große Regenbogenfahne im Wind.

Mit diesen und einer weiteren innerkirchlichen Großbaustelle hat sich jetzt das Kuratorium beschäftigt, in dem namhafte Katholikinnen und Katholiken aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Akademiearbeit begleiten. „Frauen in Diensten und Ämtern“ lautete der Vortragstitel des renommierten Tübinger Kirchenrechtlers Professor Dr. Bernhard Sven Anuth bei der Frühjahrssitzung im Tagungszentrum Hohenheim. Anuth beleuchtete darin den Synodalen Weg und bewertete dessen Erfolgsaussichten im Hinblick auf die seit langem eingeforderte Gleichstellung der Frauen in der Kirche. Sein deprimierendes Fazit vorweg: Anuth sieht auf absehbare Zeit keine Chancen, dass Frauen in die gleichen Weiheämter wie Männer gelangen können. Das ist für ihn persönlich der Grund, sich nicht aktiv am Synodalen Weg zu beteiligen.

Wohlwollende Kommentare, fehlende Fakten

Aus kirchenrechtlicher Sicht sei es die gültige Lehre, die Frauen daran hindere, Priesterin oder Bischöfin zu werden, konstatierte Anuth. Vor allem aber sieht er keinen politischen Willen bei den führenden Kirchenmännern, Frauen die gleichen Rechte einzuräumen. Denn jenseits der scheinbar unverrückbaren Glaubenssätze gebe es schon jetzt die Möglichkeit, Frauen zu Diakoninnen zu weihen. Doch dazu muss eine Sondergenehmigung (Indult) in Rom beantragt werden. Zwar werde eine entsprechende Forderung immer wieder wohlwollend kommentiert, aber Fakten würden nicht geschaffen. Das liege auch an einem schriftlichen Versprechen, ohne das kein Kandidat Bischof oder Priester werde. Darin verpflichte sich jeder Kandidat, nicht an der Lehre und geübten Praxis zu rütteln. Eine Zuwiderhandlung werde „wie ein kirchliches Verbrechen“ eingestuft. 

In der Einschätzung, dass diese Zustände nicht haltbar sind und die Kirche massiven Reformbedarf hat, waren sich die Kuratoriumsmitglieder einig. „Warum soll ich angesichts solch eklatanter Diskriminierung eigentlich noch in der Kirche bleiben?“, hakten weibliche Mitglieder des Kuratoriums nach. Die Abstimmung mit den Füßen sei ein deutliches Zeichen dafür, dass Frauen sich das nicht länger bieten lassen wollten. Kritik wurde auch laut, dass die zunehmende Zahl von Frauen in hohen innerkirchlichen Positionen eigentlich nur schöner Schein sei; das letzte Wort hätten weiterhin die Bischöfe. Was also tun? „Hoffen wider alle Hoffnungslosigkeit“ sei ein zentrales Element des Christseins wurde argumentiert, niemand könne in die Zukunft schauen, schon morgen könnten sich die Umstände ändern. 

Synodaler Weg als wichtiges Druckmittel

Gegenhalten, Standhalten, Kämpfen, Kompetenz zeigen, lautete eine andere Argumentationskette, für die sich auch die Akademie-Direktorin Dr. Verena Wodtke-Werner stark machte. Sie sieht im wachsenden politischen Druck eine Erfolgschance. Das spektakuläre Outing der queeren kirchlichen Beschäftigten habe einer schon bestehenden Arbeitsgruppe zur Reform des kirchlichen Arbeitsrechts Beschleunigung gegeben. Ergebnisse erwartet Wodtke-Werner noch in diesem Jahr. Auch die Diskussionen zum Synodalen Weg sieht sie als wichtiges Druckmittel. In zahlreichen Online-Veranstaltungen der Akademie mit Hunderten von TeilnehmerInnen zu den einzelnen Themenbereichen sei nicht nur das große Interesse und Diskussionsbedürfnis der Kirchenbasis deutlich geworden, sondern auch die klare Erwartung, dass sich jetzt etwas ändern muss. Diese Erwartung will auch das Kuratorium durch einen Brief an den Bischof, Dr. Gebhard Fürst, noch einmal unterstreichen und ihn zugleich ermutigen, mit gutem Beispiel voranzugehen.

 

Der Tübinger Kirchenrechtler Professor Dr. Bernhard Sven Anuth sieht keinen politischen Willen bei den führenden Kirchenmännern, Frauen die gleichen Rechte einzuräumen.
Das Kuratorium der Akademie traf sich im Tagungszentrum Hohenheim.
„Wir küssen unsere Kirche wach": Ein Bild der Initiative Maria 2.0, die sich für eine Erneuerung der Kirche stark macht.