| Dr. Thomas König | Teilhabe und Soziales
Gezielte Prävention

Manchmal hilft Angeln gehen

Männer, die trauern, brauchen eine andere Ansprache als Frauen. Doch ihre Bedürfnisse werden bisher oft noch gar nicht wahrgenommen. Darüber reden ist nicht immer der Königsweg.

Wie trauern Männer? Mit dieser Frage hat sich am Welttag der Suizidprävention (10.September) eine Online-Veranstaltung der Akademie der Diözese, des Kompetenzzentrums Jungen- und Männergesundheit Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart, Abteilung für Chancengleichheit und Diversity mit dem Themenschwerpunkt gleichstellungsorientierte Männerpolitik beschäftigt und dafür Dr. Martin Kreuels aus Münster gewonnen.  Das Interesse an dem Vortrag des Biologen, Trauerexperten, Postmortemfotografen und Autor mehrerer Bücher war groß; 75 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien hatten sich zugeschaltet.

In seiner Einführung schilderte der Moderator Gunter Neubauer vom Kompetenzzentrum Jungen- und Männergesundheit Baden-Württemberg, dass jedes Jahr rund 9.000 Menschen in Deutschland Suizid begehen; zwei Drittel davon sind Männer. Betroffen davon sind je Fall im nahen Umfeld im Schnitt zehn Personen, also insgesamt knapp 100.000 Menschen im Jahr. Prävention tut also Not. Doch bei den Beratungsstellen machen Männer nur ein Drittel aus, zwei Drittel sind Frauen. Dies mache deutlich, dass Männer eine besondere Zuwendung bräuchten. Prävention müsse früher ansetzen und es sei ein langer Weg. Denn nötig seien Angebote, die für Männer zugänglich sind und die sie auch annehmen.

Männer und Frauen reden oft aneinander vorbei

Prävention beginne bei der Bewältigung von Lebenskrisen, psychosozialen Belastungen und einem besseren Umgang mit Depressionen. Dazu gehöre, trauernde Männer besser zu verstehen und sie angemessen zu begleiten – und zwar nicht nur im höheren Alter, sondern auch schon Jüngere.
Hier setzte Martin Kreuels mit seinem Vortrag an. Kreuels, der zum Thema aus eigener Betroffenheit kam – seine Frau starb früh, er blieb mit vier kleinen Kindern zurück – suchte Männer zum Gespräch – und fand keine. Er verwies darauf, dass sich bei Männern – anders als bei Frauen –, die ihre Partnerin oder ihren Partner verlieren und nicht schnell jemanden Neuen finden, statistisch die Lebenserwartung um zehn Jahre verkürze.

In Trauer redeten Männer und Frauen oft aneinander vorbei, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Kreuels begründete das mit den unterschiedlichen evolutionsgeschichtlichen Erfahrungen, die beide Geschlechter gemacht haben und die sich in der DNA von heute immer noch fänden. Die gesellschaftlichen Veränderungen im Rollenverständnis seien hingegen noch sehr jung, reichten nur bis zur industriellen Revolution zurück. Frauen und Männer rückten zwar immer mehr zusammen, doch die Trauer der Männer unterscheide sich deutlich von der Trauer der Frauen. Das soll erkannt, aber nicht bewertet werden.

Das eigene Männerbild gerät ins Wanken

Kreuels nannte Beispiele für die Unterschiede: Männer sehen im Licht besser, Frauen im Dunkeln, Männer brauchen 30 Prozent mehr Flüssigkeit zum Überleben als Frauen, Frauen hätten eine engere Verbindung der beiden Gehirnhälften, redeten etwa im Trauercafé viel früher als Männer. Ohnedies sei die verbale Kommunikation bei Männern geringer ausgebildet – mit 21.000 zu 7.000 Worteinheiten pro Tag. Männer seien 30 Prozent weniger beim Arzt als Frauen, nehmen zu 50 Prozent seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil.

Als häufige Strategien von trauernden Männern nannte Kreuels Leugnen, um Gefühlen aus dem Weg zu gehen; Zorn, Wut, Aggression und Verbitterung. Der Mann komme sich unzulänglich vor, verdränge dies auch durch Drogen. Tränen würden oft als Kontrollverlust empfunden, das eigene Männerbild gerate ins Wanken, man empfinde sich als Weichei.  Für Männer seien fünf Säulen im Leben wichtig: Arbeit, soziales Netz, Körper/Leiblichkeit, materielle Sicherheit sowie Werte/Sinn. In der Trauer seien als mögliche Ansprechpartner oft Leute aus der Arbeit geblieben, viele andere im sozialen Netzwerk aber verloren gegangen. In der Trauer, so schilderte Kreuels, gehen Frauen nach außen, sprechen, lassen sich professionell helfen. Männer dagegen trauern häufiger nach innen und versuchen, mit sich klar zu kommen, suchen das Alleinsein.

Was also brauchen Männer? Kreuels erste Antwort: Sie brauchen Zeit, viel Zeit. Sie brauchen Angebote von Männern für Männer, Erfahrungen und Geschichten von Männern. Man dürfe ihnen keine weiblichen Konzepte überstülpen, sondern nötig seien eigene Männertrauerkonzepte (Stille, Kommunikation, inneres Kind, Persönlichkeitsarbeit). Man müsse Unterschiede zwischen Männern und Frauen erkennen, solle sie aber nicht bewerten: „Männer und Frauen passen dann zusammen, wenn sie unterschiedlich sind und dies anerkennen.“

Ein Stuhlkreis ist nichts für trauernde Männer

In der Diskussion wurden diese Aussagen konkret unterfüttert. Trauercafés müssten sich neu erfinden. Besser als ein Sitzkreis mit Kaffee und Kuchen seien etwa Trauerwanderungen, denn das gegenseitige Fixieren von Augen empfänden Männern oft als unangenehm und bedrohlich. Beim Laufen bewege man sich parallel, weinen ist da einfacher. Auch ein Auto, eine Fahrt zum Discounter etwa, könne da wie ein Schutzkäfig sein. Kochkurse funktionierten gut oder asiatische Kampfsportgruppen. Gruppenangebote für Männer sind schwieriger. Zorn abzubauen etwa sei ein großes Problem. Auf dem Fußballplatz gehe das. Oder: man setze sich nicht in einen Gruppenraum, sondern in eine Küche, jeder Mann bekommt erst ein Bier und Currywurst. Nötig seien kleine Rituale, die passen, damit Männer mehr von sich preisgeben können.

Reden ist nicht immer der Königsweg. Jungs und Männer kommunizieren anders. Beim Joggen etwa. Oder beim Angeln. Oft sind es aber auch nur kleine Fragen, um Männer ins Gespräch zu ziehen. „Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du vor dem Kleiderschrank Deiner Frau stehst?“ Ein großes Problem sei, eine Trauergruppe für Männer an Hospizen anzubieten. Helfen könne eher „der Garten muss gemacht werden, wer kann helfen?" „Einzelne bleiben dabei kleben“. Wichtig seien Angebote, die nicht zuerst auf ein Gespräch zielen, sondern auf gemeinsames Tun, etwa ein Fotoworkshop.
Weitere Informationen zum Thema finden sich etwa unter:

https://maennerberatungsnetz.de


Barbara Thurner-Fromm

 

Trauernde Männer brauchen eine andere Ansprache als Frauen, um sich zu öffnen.