| Männlichkeitenforschung
Rechte Männlichkeit(en)

Wackelnder Status

Warum sind Männer so anfällig für rechte Ideologien? Warum stellen sie für einschlägige Parteien die Mehrheit der Wähler? Und in extremen Bewegungen die meisten Mitglieder?

Von Thomas König

Überwiegend sind es Männer, die rechte politische Parteien wählen. Männer machen auch den größten Teil der Mitglieder dieser Parteien und rechtsextremer Bewegungen aus. Warum ist das so? Zwei Veranstaltungen von „männer.bw – Forum Männer und Väter in Baden-Württemberg“ unter Beteiligung der Akademie und weiterer Kooperationspartner:innen haben sich mit dieser Frage beschäftigt. Aus geschlechtsorientierter Perspektive gibt es dazu bisher nur wenig Forschung und Erkenntnisse.

Die Fachtagung im Hospitalhof Stuttgart, die nach Handlungs- und Argumentationskonzepten für Männerarbeit und Männerpolitik fragte, analysierte zunächst die Gründe für die Attraktivität politisch rechter Denkmuster bei Männern. Es wurde deutlich, dass Männer im Sinne ihres biologischen Geschlechts nicht per se nach rechts tendieren, sondern dass es bestimmte Formen von Männlichkeiten sind, die diese Tendenzen begründen. Männlichkeit wird verstanden als ein Status mit sozialen und kulturellen Normen, denen ein Mann genügen müsse, um auch als „männlich“ zu gelten, wie es Markus Theunert, Psychologe, Soziologe und Männerforscher, formulierte. Männlichkeit kann also als kulturell überformtes Konzept gesehen werden, das politische Einstellungen befördert und abbildet.

Antifeminismus als Gemeinsamkeit

Susanne Kaiser, Journalistin und Autorin aus München, wies darauf hin, dass autoritäre Bewegungen in vielen westlichen Demokratien stärker werden; in Deutschland wählen auch junge Männer der „Generation Z“ die AfD. Kaiser sieht als kleinsten gemeinsamen Nenner für Allianzen von Rechten, Maskulinisten und religiösen Hardlinern den Antifeminismus. Dieser könne als Reaktion auf das Infragestellen männlicher Norm und männlicher Dominanz in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Familie gesehen werden. Der Wandel des Männlichkeitsideals zeige sich als gesellschaftlicher Kontrollverlust und bilde den Nährboden für einen reaktionären Backlash. Die Spannung zwischen diskursiver Überwindung des Patriarchats in vielen gesellschaftlichen Bereichen einerseits und seinem faktischem Fortbestehen setze Jungen und Männer unter Druck. Susanne Kaiser sieht die ambivalenten gesellschaftlichen Erwartungen als Ursache dafür, die Männer für Alphamännlichkeits-Ideale ansprechbar werden, denn diese gäben eine Orientierung und dienten als (vermeintliches) Erfolgsmodell für Männer.

Kaiser betont auch die Rolle der „Sozialen Medien“, die als Radikalisierungsmaschinen für junge Männer und als Rekrutierungspool für rechtsextreme Gruppen fungierten, und merkt die politische Instrumentalisierung von Verschwörungserzählungen (insbesondere jener vom so genannten Bevölkerungsaustausch) für die Mobilisierung von Stimmen an. In der Konsequenz sieht sie, dass reaktionäre Angriffe auf die Demokratie erfolgreich sein könnten, auch durch die Normalisierung von misogyner Gewalt und einer Diskursverschiebung hin zur Naturalisierung von Ungleichheiten. Männlichkeitsideologische Radikalisierung

Auch Markus Theunert von männer.ch sieht Männlichkeit als gesellschaftlich umkämpft an, gar als zentralen Schauplatz eines (globalen) Kulturkampfs. Bereits die Diskursivierung und Problematisierung von Männlichkeit stelle für Männer ohne Einsicht in ihre strukturelle Privilegierung – also die mutmaßliche Mehrheit – eine Provokation und Bedrohung dar. Theunert sieht drei konkurrierende Strömungen innerhalb des männlichen Teils der Gesellschaft, die drei Identifikationsangeboten entsprechen: Dominanz-Männlichkeiten traditioneller Prägung, pragmatisch-widersprüchliche Männlichkeiten und progressive, nonpatriarchale Gegenmännlichkeiten.

Das Ringen um die Relevanz der einzelnen Gruppen ist für ihn ergebnisoffen. Für entscheidend hält Theunert das mittlere Drittel der „passiv-ambivalenten Pragmatiker“. Diese Männer bejahen egalitäre Ideale, sind aber wenig geschlechterreflektiert und dadurch offen für reaktionäre Ressentiments. In welche Richtung sie sich orientieren, könne über politische Mehrheiten entscheiden. Theunert geht von einer zunehmenden männlichkeitsideologischen Radikalisierung aus, die auch Jungen und junge Männer erfasst. Mit den Elementen Essentialismus, Hypermaskulinität, Misogynie, Bruderschaft und Autoritarismus könne ihnen die politische Rechte ein verführerisches Angebot zur Wiedergewinnung ihrer Souveränität machen.

Kulturelle Muster von Männlichkeit

Auch die zweite Veranstaltung zum Thema „Rechte Männer – rechte Männlichkeiten“, die sich mit Interventionsmöglichkeiten und Alternativen beschäftigte, machte noch einmal deutlich, wie männerbezogen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ausgestaltet sind. Bei der öffentlichen online-Veranstaltung referierte Prof. Fabian Lamp von der Fachhochschule in Kiel, wie groß – gemessen an den übrigen Parlamentsparteien – der Männer-Überhang in der Wählerschaft der AfD ist. Seine Erklärung fußt auf der These, Männlichkeit sei in unserer Gesellschaft mit einer „doppelten Distinktions- und Dominanzstruktur“ verbunden: innerhalb der Gruppe von Männern und gegenüber den Frauen ziehe sich durch die meisten Milieus ein Über- und Unterordnungsprinzip. Alle, die sich als Männer verstehen, müssten sich mit den „ernsten Spielen des Wettbewerbs“ auseinandersetzen, mitspielen oder versuchen, sich zu entziehen. Rechtsextremismus, Rechtspopulismus sowie bestimmte kulturelle Muster von Männlichkeit ergänzten einander und seien darin für Männer anschlussfähig. Das ist laut Lamp eine mögliche Begründung dafür, dass sich hegemoniale und komplizenhafte Männer von solchen politischen Positionen angezogen fühlten.

Für Männer in kritischen Bewältigungskonstellationen böten Rechtsextremismus und Rechtspopulismus die Möglichkeit, kurzfristig die eigene psychosoziale Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, was dann allerdings kein langfristiger Ausweg aus einer solchen Konstellation sei.

Umgang mit rechten Männlichkeiten

Welche Möglichkeiten hätte „Mann“, die Anforderungen an Männlichkeit zu bewältigen, ohne in rechtspopulistisches oder gar rechtsradikales Denken zu verfallen? Wie müsste sich Gesellschaft verändern, um eine männlichkeitsideologische Radikalisierung zu vermeiden? Alle drei Referent:innen machten zu beiden Fragen Vorschläge, Susanne Kaiser plädierte dafür, strukturell gegen das Patriarchat vorzugehen, mit dem Ziel, es zu beenden. Dafür wären männliche Verbündete der Frauen notwendig. Wichtig war ihr auch die Forderung nach einem repressiven Umgang mit den bisher weitgehend rechtsfreien Räumen im Netz. Ebenso bedürfe es präventiver Aufklärung in Kitas, Schulen, Unternehmen und Zivilgesellschaft über die Zusammenhänge von rechten Ideologien der Ungleichheit, des Antifeminismus und der Alphamännlichkeit sowie deren negativen Folgen für die Demokratie. Vermittelt werden könne dies unter anderem über ein Schulfach „Medienkompetenz“, sagte Susanne Kaiser.

Markus Theunert verlangt einen breiten Blick auf männlichkeitsideologische Radikalisierung und einen differenzierten Blick – insbesondere für Männer aus der Mitte der Gesellschaft – auf geschlechtsideologische Radikalisierungsdynamiken. Er plädiert für eine klare Haltung, denn eine männlichkeitsideologische Radikalisierung sei Folge einer gefühlten, angenommenen, individuellen Benachteiligung – nicht aber Folge einer strukturellen Diskriminierung. Deshalb brauche es ein unmissverständliches Einfordern von Privilegienreflexion durch Jungen, Männer und Väter, allerdings auch verbunden mit einem fairen Angebot, wie nachhaltiges Mannsein gelingen könne. Es brauche auch die gesellschaftliche und politische Anerkennung, dass es eine große Herausforderung sei, sich als Mann neu erfinden zu müssen, und es brauche Unterstützung auf diesem Weg durch die flächendeckende Verankerung von Jungenpädagogik, Männerberatung und Väterbildung. Gesellschaftlich seien mehr Mut zur grundlegenden System- und Patriarchatskritik in der Geschlechter- und Gleichstellungspolitik nötig und das Eingeständnis, dass der Gleichstellungsgrundsatz von Frauen wie Männern verlangt, unlösbare Vereinbarkeitsdilemmata zu lösen. Nötig seien dafür neue Allianzen jenseits der Geschlechtergrenzen.

Prof. Fabian Lamp empfahl auf die Frage, inwieweit Rechtsextremismus und Rechtspopulismus eine Herausforderung für die Soziale Arbeit seien, präventive Maßnahmen: Gewaltprävention, politische Bildung, Interkulturelles Lernen, pädagogische Arbeit mit rechten Jugendlichen, Förderung des Ausstiegs aus politisch rechten Kreisen, Opferberatung und vergleichbare Maßnahmen. Er wies auch darauf hin, dass die traditionelle sozialpädagogische Perspektive auf Jugendliche notwendig um eine geschlechterreflexive Perspektive im Hinblick auf die Jungenarbeit ergänzt werden müsse. Lamp gab allerdings zu bedenken, dass Rechtsextremismus und Rechtspopulismus nicht der Sozialen Arbeit überlassen werden könnten, sondern dass sie politisch zu bearbeiten seien.

Und was ist mit linken Männern?

Im Hinblick auf die beiden Veranstaltungen gab es die Anfrage, ob es denn auch Veranstaltungen zum Thema „linke Männer“ geben würde? Das ist bisher nicht der Fall, doch die Frage erwies sich als berechtigt, denn eine „radikalisierte Männlichkeit“ ist nicht allein im rechten politischen Spektrum zu beobachten, sondern überall dort, wo extremistische und radikale Positionen eingenommen werden, etwa auch im religiösen oder gesellschaftlichen Kontext. So wäre das Themenfeld sicherlich entsprechend zu erweitern.

Dokumentation und weitere Aussichten

Abschließend teilte nach den lebhaften Diskussionen in beiden Veranstaltungen Dietmar Lipkow als Vorstandsvorsitzender von männer.bw mit, dass der Dachverband und Forum für Männer- und Väter in Baden-Württemberg bis zum Sommer 2024 ein Strategiepapier zum Umgang mit rechten Männern und rechten Männlichkeiten erarbeiten werde.

Alle Vorträge finden sich als ppt-Präsentationen und als Thesenpapier unter: https://www.maenner-bw.de/veranstaltungen

Literatur zum Thema

Susanne Kaiser: Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung (Schriftenreihe Band 10696, Bonn 2022).

Susanne Kaiser: Backlash. Die neue Gewalt gegen Frauen, Berlin: Tropen Verlag 2023.

Markus Theunert: Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von heute, Stuttgart: Kohlhammer 2023.

Andreas Heek: Harte Männer braucht das Land? Neu erwachender Maskulinismus als Herausforderung für die Kirche, unter: https://www.feinschwarz.net/harte-maenner-braucht-das-land/