| Kirche und Gesellschaft
Aschermittwoch der Künstler:innen

Schönheit und Gottesbegegnung

Zum ersten Mal nach der Corona-Zwangspause fand in Stuttgart-Hohenheim wieder der traditionelle „Aschermittwoch der Künstler:innen“ statt. Eingeladen hatte Bischof Gebhard Fürst.

Hier die Predigt von Bischof Gebhard Fürst im Gottesdienst

(Schrifttexte: Lesung: Joel 2, 12-18 - Evangelium: Mt 6, 1-6.16-18)

 

Liebe Schwestern und Brüder,

liebe Kunstschaffende!

Unsere diesjährige Feier zum Aschermittwoch der Künstler steht ganz im Zeichen der Musik!

Ich möchte mit einem Text aus dem Roman „Nachtzug aus Lissabon“ beginnen. Der Autor, Pascal Mercier, schreibt:

Ich möchte nicht in einer Welt ohne Kathedralen leben. Ich brauche ihre Schönheit und Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. Ich will zu leuchtenden Kirchenfenstern hinaufsehen und mich blenden lassen von den unirdischen Farben. Ich brauche ihren Glanz. (…) Ich will den rauschenden Klang der Orgel hören, diese Überschwemmung von überirdischen Tönen. Ich brauche ihn gegen das tückische Gift des Oberflächlichen und Gedankenlosen. Ich will die mächtigen Worte der Bibel lesen. Ich brauche die unwirkliche Kraft der Poesie. Ich brauche sie gegen die Verwahrlosung der Sprache und die Diktatur der Parolen. Eine Welt ohne diese Dinge wäre eine Welt, in der ich nicht leben möchte.“ – Es sind die Worte eines staunenden Menschen! Pascal Mercier ist fasziniert von der Erhabenheit des Kirchenraums und überwältigt von der Wirkmacht sakraler Musik und den sprachgewaltigen Texten der Bibel.

Der Text von Pascal Mercier, liebe Schwestern und Brüder, trägt den Titel: „Ehrfurcht und Abscheu vor Gottes Wort“. In wunderbaren sprachlichen Bildern macht er deutlich, welche ästhetische Transzendenz sowohl der Kirchenbau und die Kunst, als auch der sprachliche Bau der Literatur oder das Klanggebäude der Musik ausstrahlen.

Umgekehrt können wir im Umgang mit Kunst und Musik erkennen, dass Glaubenserfahrung nicht abstrakt ist oder sich im luftleeren Raum abspielt. Glaubenserfahrung ist eng verwoben mit Bildern, mit Geschichten und Klängen. In ihnen konkretisiert sich Gottesbegegnung.

Die Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils haben vor über fünfzig Jahren zum Verhältnis von Künsten, Literatur und christlicher Identität folgendes festgehalten: „Auf ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; sie gehen darauf aus, die Situation des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des Menschen vorausahnen zu lassen. So dienen sie der Erhebung des Menschen in seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen.“ (GS 62)

Wenn die Künste also der „Erhebung des Menschen“ dienen, wie es im Konzilsdokument „Gaudium et spes“ heißt, dann haben diejenigen, die mit ihrem Schaffen die Menschen zu „erhellen“ vermögen – die Musiker, die bildenden Künstler, die Architekten, die Schriftsteller und Autoren –,  die Begabung, Gottes Geheimnis, seine Schönheit, zu erschließen.

Diese Ästhetik, von der das Zweite Vatikanische Konzil spricht, hat den Sinn und Zweck, uns zu erheben. Diese Schönheit erhellt das Leben – auch und besonders angesichts der Lasten, die uns manchmal im Alltag niederdrücken. Das Schöne erhebt uns und weitet unsere Offenheit für die Wirklichkeit. Es erinnert uns Menschen an unsere Würde, die wir als Gottes Ebenbild in uns tragen.

Der Theologe Hans Urs von Balthasar formulierte es so: „Wer auch immer über die Schönheit spottet, so als ob sie ein Ornament einer bourgeoisen Vergangenheit sei, kann nicht länger beten, und bald wird er auch nicht mehr fähig sein, zu lieben.“

Liebe Künstlerinnen und Künstler,

Kunst, ihre Qualität, ihr Klang und ihre Form, berühren unsere Sinne. Sie berühren aber auch andere unserer Fähigkeiten – wie Erinnerung und Vorstellung, Intellekt und Wille. Und wenn wir Menschen mit der Offenbarung der Schönheit konfrontiert sind, werden wir über uns selbst hinausgeführt, weil sich in der Erfahrung von Schönheit auch immer Gutes, Wahres zeigt.

In Jesus von Nazareth erscheint uns Gott mitten in der Wirklichkeit dieser Welt. Jesus hat einen Leib – wie wir. Jesus verwendet einfache Dinge des menschlichen Alltags, um seine Botschaft zu vermitteln: Brot und Wein, Fisch, Öl und Wasser. So können wir dem in Jesus von Nazareth menschgewordenen Gott durch unsere Dinge, unsere Wahrnehmung begegnen. Hans Urs von Balthasar schreibt, dass „alles davon abhängt, wie wir sehen, hören, schmecken, riechen – und besonders wie wir das Wort des Lebens berühren. All dies gipfelt darin, die Finger in die Wunde der Seite Jesu zu legen.“

Christsein beginnt mit dem Stofflichen, dem Körperlichen, dem Menschwerden Gottes. Letztlich gipfelt es auch darin: im Leiden und im Tod, die schließlich zur Auferstehung führen.

An Aschermittwoch erinnern wir uns an unsere Stofflichkeit. Heute kommen wir mit Asche in Berührung. Asche ist schlechthin das Symbol für das Stoffliche, das Vergängliche. Mit der Asche, mit der wir uns heute bezeichnen lassen, holen wir die Erinnerung an unser irdisches Ende in die Gegenwart. Gleichzeitig spüren wir mit dem Aschekreuz die Erinnerung an das Wort Gottes – die Erinnerung an Jesus Christus – der nach Verletzung, Verwundung, nach Leiden und Tod zu neuem Leben auferweckt wurde. Er ist das menschliche Abbild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15), sein Wort (Joh 1,1), in unserem Fleisch, das die Liebe Gottes gezeigt und gelebt hat (vgl. Joel 2,18). In Jesus Christus brennt Gottes leidenschaftliche Liebe auf der Erde. In den kommenden Wochen werden wir wieder hören, dass ihn diese Liebe zu uns Menschen bis ans Kreuz bringen wird. Der Prophet Joel ruft uns deshalb auf, umzukehren zur „herzzerreißenden“ Liebe Gottes. „Zerreißt eure Herzen“ fordert Joel sein bedrängtes Volk auf. „(…) und kehrt um zum Herrn, Eurem Gott, denn (…) groß ist seine Güte.“ Joels Worte haben wir soeben in der Lesung gehört. Sie beschreiben in wunderbarer Wortgewalt den innersten Kern des Wesens Gottes. Aus Gottes Liebe, aus Gottes Barmherzigkeit kann ein neuer Weg in die Freiheit erwachsen. Barmherzigkeit ist das Schlüsselwort in der Heiligen Schrift „um Gottes Handeln uns gegenüber zu beschreiben“ sagt Papst Franziskus. (MV)

Gottes Botschaft bleibt lebendig in der Literatur, in der Bild- und der Musiksprache. Sie nutzen die Ausdrucksformen, die ihnen jeweils zu eigen sind, um die Botschaft immer neu aufzuerwecken. Denn sie besitzen die Gabe, gegen den Tod, gegen Hoffnungslosigkeit und Traumatisierungen anzukämpfen, Erinnerung wachzuhalten und sie nicht zu Staub zerfallen zu lassen. So wird Gottes lebendige Botschaft immer neu zum Leben erweckt.

Am Ende meiner Predigt möchte ich noch einmal den jungen Mann aus Pascal Merciers Roman sprechen lassen: „Die Poesie des göttlichen Wortes, sie ist so überwältigend, dass sie alles zum Verstummen bringt. (…) Ich brauche die Heiligkeit von Worten, die Erhabenheit und Schönheit großer Poesie und die Musik. (…) Doch nicht weniger brauche ich die Freiheit und die Feindschaft gegen alles Grausame (…) Und niemand möge mich zwingen zu wählen.“

Amen!

 

 

Die oben angeführten Schriftstellen (nach der Einheitsübersetzung 2016)

Joel 2, 12-18
Auch jetzt noch - Spruch des HERRN: / Kehrt um zu mir von ganzem Herzen / mit Fasten, Weinen und Klagen!
Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, / und kehrt um zum HERRN, eurem Gott!
Denn er ist gnädig und barmherzig, / langmütig und reich an Huld / und es reut ihn das Unheil.
Wer weiß, vielleicht kehrt er um und es reut ihn / und er lässt Segen zurück, sodass ihr Speise- und Trankopfer darbringen könnt / für den HERRN, euren Gott.
Auf dem Zion stoßt in das Horn, / ordnet ein heiliges Fasten an, / ruft einen Gottesdienst aus!
Versammelt das Volk, / heiligt die Gemeinde!
Versammelt die Alten, / holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge!
Der Bräutigam verlasse seine Kammer / und die Braut ihr Gemach.
Zwischen Vorhalle und Altar / sollen die Priester klagen, / die Diener des HERRN sollen sprechen:
Hab Mitleid, HERR, mit deinem Volk / und überlass dein Erbe nicht der Schande, / damit die Völker nicht über uns spotten!
Warum soll man bei den Völkern sagen: / Wo ist denn ihr Gott?
Da erwachte im HERRN die Leidenschaft für sein Land / und er hatte Erbarmen mit seinem Volk.

 

Mt 6, 1-6.16-18

Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zu tun, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten.

Wenn du Almosen gibst, posaune es nicht vor dir her, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden! Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.

Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut, damit dein Almosen im Verborgenen bleibt; und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.

Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler! Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten.

Du aber, wenn du fastest, salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, 18 damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.