| Dr. Konstanze Jüngling | Internationales, Migration, Menschenrechte
Reihe: Die Macht der Sprache

Sprache kann aus- und einschließen

Zwei Migrationsforscherinnen und eine Autorin haben über Sprache und verbale Gewalt diskutiert – um eine aktuell hitzig ausgetragene Debatte zu versachlichen.

Das Thema Identitätspolitik sorgt derzeit für emotionale Kontroversen – besonders in der SPD, in der darüber ein heftiger Streit zwischen der Parteiführung um Saskia Esken und Kevin Kühnert auf der einen und langjährigen SozialdemokratInnen um Wolfgang Thierse und Gesine Schwan auf der anderen Seite tobt. Auch das Interesse an unserer Online-Veranstaltung „Sie können aber gut Deutsch! Wenn freundliche Ignoranz zu verbaler Gewalt wird“ im Rahmen unserer Reihe „Die Macht der Sprache“ war überwältigend: 360 Anmeldungen aus der ganzen Republik belegen das Bedürfnis, sich über dieses Thema fundiert zu informieren und auszutauschen.

"Das Abwertende zwischen den Zeilen"

Die drei Referentinnen des Abends sorgten dann auch für reichlich kritischen Input. Lena Gorelik, 1992 mit ihren Eltern aus Leningrad zugewandert, las zunächst aus ihrem 2012 erschienenen Buch „Sie können aber gut Deutsch“, in dem sie Alltagsrassismus beschreibt und wie dieser auf sie gewirkt hat. Die Essayistin und mehrfach preisgekrönte Autorin sagte, sie habe das Buch seinerzeit geschrieben in der Hoffnung, dass man es möglichst bald „in den Müll werfen" könne, weil das Thema sich erledigt habe. Dem sei aber nicht so. Das Buch sei ihre Antwort auf „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin gewesen. Entscheidend an sprachlicher Diskriminierung sei dabei oft nicht das tatsächlich Gesprochene, sondern „der Zwischentonfall tut weh und was zwischen den Zeilen steht.“ Gorelik schildert etwa eine unfreundliche Schuhverkäuferin und sagt, „ohne Akzent wäre ich freundlicher behandelt worden“. Und sie fragt: „Wieviel muss meine Großmutter lernen, die mit 75 nach Deutschland kam, muss sie Goethe auf Deutsch lesen? Und wenn man es nicht kann, ist man deshalb ein Mensch zweiter Klasse?“

Der Kritik in der Schule an mangelnder Grammatik und Sprachkenntnis setzt Gorelik in ihrem Buch Erfahrungen gegenüber, die sie in Israel gemacht hat: „Hier wurde ich permanent für meine hebräischen Sprachkenntnisse gelobt, hier bewunderten mich die Menschen, dass ich mir die Mühe gemacht habe, dafür auch die fremde Schrift zu lernen“. Hierzulande würden die Leute vergessen, wie schwer es sei, eine neue Sprache zu lernen, wenn man älter ist und dass dies ein Prozess sei, der nie aufhört. Sie vermisst „das Vertrauen in Lernfähigkeit und Lernfreude“, denn nichts zerstöre Lernbegierde mehr als abschätzige Kommentare. „Das Abwertende zwischen den Zeilen und das Ausschließende versteht man immer.“

Die Macht der Sprache bewusst machen

Die Migrationsforscherinnen Professorin Dr. Petra Bendel und Professorin Dr. Silke Jansen von der Universität Erlangen-Nürnberg untermauerten mit ersten  Ergebnissen aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt „Verbal Violence against Migrants in Institutions (VIOLIN)“ die Erfahrungen Goreliks. Bei ihrer Forschung soll die Macht der Sprache analysiert werden. Während sich die Politikwissenschaftlerin Bendel eher dem systemisch-politischen Bereich zuwandte, legte die Sprachwissenschaftlerin Jansen ihren Schwerpunkt  auf die sprachliche Dimension. Für das Forschungsprojekt wurden bisher knapp 100 Interviews geführt, 77 der befragten Personen hatten spanischsprachigen Hintergrund, 20 sprachen von Haus aus Farsi. Bei den Interviews wurden Narrative erhoben, die Personen berichteten von ihren Erlebnissen aus subjektiver Perspektive. Entscheidend war nicht, ob das Gegenüber aggressiv sein wollte oder nicht, sondern es geht um die Perspektive der Person, die es erlebt hat. SprachwissenschaftlerInnen analysieren, was als aggressiv wahrgenommen wird, die Politikwissenschaft fragt: Wo erleben die Befragten sprachliche Gewalt? Im nächsten Schritt messen GesundheitspsychologInnen den Stress und fragen: Was macht das mit den Menschen?

Erste Ergebnisse zeigen, dass sprachliche Gewalt am häufigsten empfunden wird beim BAMF, im Rathaus, der Polizei, an Schulen und Universitäten sowie im Jobcenter. Aber auch in vielen Situationen des Alltags, im Straßenverkehr, in Bussen und in Arztpraxen. Beschrieben wurde auch Diskriminierungen durch nicht-sprachliche Formen der Gewalt wie Ignorieren, kein Augenkontakt bis hin zum Verbot, eine Toilette zu benutzen.

Empathie und Sensibilität sind nötig

Diese ersten Erkenntnisse wollen die Forscherinnen im Sommer durch eine quatitative Online-Befragung auf eine breitere Basis stellen. Zudem sollen unterschiedliche Kohorten untersucht werden (Alter, Geschlecht, Bildung, Sozialstatus, Aufenthaltsdauer in Deutschland) und vergleichende internationale Studien ausgewertet werden. Auch die Erfahrungen mit Covid-19 sollen abgefragt werden. "Wir wollen nicht beim Erfassen bleiben, sondern zu Handlungsempfehlungen kommen“ beschrieben die Forscherinnen ihr Vorhaben.

Aus dem Publikum kamen viele Diskussionsbeiträge und Fragen. Etwa: Wie kann man Interesse am kulturellen Hintergrund äußern, ohne sprachlich diskriminierend zu sein? Da waren sich die drei Protagonistinnen des Abends im Kern einig: es gibt keinen Königsweg, vielmehr komme es darauf an, feinfühlig zu sein und sensibel. Lena Gorelik schilderte eine Begegnung mit einem dunkelhäutigen Taxifahrer in Dresden, der quasi prophylaktisch gereizt erklärte, "Ich will nicht erzählen, woher ich komme“. Goreliks Fazit: "Jemand mit einer sichtbaren Behinderung fragt man auch nicht einfach: Hatten Sie einen Autounfall?"

Auch mit Blick auf die aktuellen politischen Diskussionen verwies Silke Jansen darauf, dass es keine Faustregel für die Kommunikation gebe, dies sei immer ein Aushandlungsprozess zwischen mehreren Personen, die mehreres einbringen: Erfahrungen, geteiltes Wissen – das macht das Empfinden aus.  Und auch die Politikwissenschaftlerin Bendel machte deutlich: "Wir sagen nicht, was rassistisch ist und was nicht. Unsere Aufgabe ist, das einzuordnen und zu versuchen, es auf eine breitere Basis zu stellen."  Wenn jemand unbedarft daherrede, sei das nicht rassistisch, es könne sich aber überlappen. Rassismus sei die systematische Zuschreibung von Eigenschaften an eine Gruppe, die prinzipiell negativ gesehen wird.  

Verbale Gewalt sei auch keine spezifische Migrationserfahrung, sagte Sprachforscherin Jansen; es gebe sie beispielsweise auch in Paarbeziehungen oder in Lehrer-Schüler-Verhältnissen, generell stärker in hierarchischen Beziehungen. Bei einem Migrationshintergrund würden allerdings viele Stereotypen aufgerufen. Es gehe nicht darum anzuklagen, sondern darum zu sensibilisieren und zu fragen: Wo gibt es schwierige Situationen? Solche Situationen könne man dann üben! Trainings und  Schulungen könnten für bessere Kommunikation sorgen.

Dr. Konstanze Jüngling, die Leiterin des Fachbereichs Migration und Menschenrechte an der Akademie, die durch den Abend führte, bilanzierte zum Abschluss, dass die Absicht der Wissenschaftlerinnen, das Thema zu versachlichen, gelungen sei. Allerdings stellte sie, an Lena Gorelik gewandt, auch fest: "Es ist noch nicht an der Zeit, Ihr Buch in den Mülleimer zu werfen. Aber wir haben immerhin heute über eine Strategie diskutiert, dahin zu kommen."
(Barbara Thurner-Fromm)  

Die Sprachforscherin Prof. Silke Jansen wertet Interviews mit MigrantInnen im Hinblick auf Alltagsrassismus aus.
Lena Gorelik hat das Buch geschrieben "Sie können aber gut Deutsch"
Die Migrationsforscherin Prof. Petra Bendel untersucht, in welchen Institutionen sprachliche Gewalt empfunden wird.