Von Miriam Hesse
„Unser Tanzparkett“ nennt Roland Wiedemeyer das, was er in vier großen, beschrifteten Papierkreisen auf dem Boden ausgebreitet hat: „Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte“ – auf diesen vier Säulen basiert das Prinzip der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg, das natürlich keineswegs einen geradlinigen Ausweg aus Konflikten biete, wie Wiedemeyer betont. Vielmehr erfolgt die Annäherung in vielen Fort- und auch Rückschritten. „Probieren Sie es aus“, ermutigt Wiedemeyer. Am Ende lohne es sich für die bessere Verständigung.
Lebendiger Markt der Möglichkeiten
Der GFK-Raum im zweiten Stock des Tagungshauses der Akademie in Weingarten ist einer von vielen Ausstellern und Mitmachaktionen beim großen Friedensfest Anfang Mai auf dem Martinsberg – dem dritten und abschließenden Tag der Friedenstagung, die die Akademie in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum für Bildungsinnovation und Professionalisierung der Pädagogischen Hochschule Weingarten und der Außenstelle Stuttgart von Engagement Global organisiert hatte. Infostände diverser Friedensinitiativen, Angebote für Kinder, Kunst-Workshops, Aikido-Lektionen und Meditation in der Kapelle: ein lebendiger Markt der Möglichkeiten und Mitmachgelegenheiten.
Die Gelegenheit, die Arbeit ihrer Organisation vorzustellen, hat auch Janna Articus von der Berghof Foundation wahrgenommen, die Friedensbildung in der politischen Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen unterstützt. Sie geben Workshops an Schulen („Wir haben schon jetzt so viele Anfragen, wie im ganzen vergangenen Jahr nicht“) und beantworten Fragen von Schüler:innen auf einer Onlineplattform – aktuell meist zum Ukraine-Krieg. „Wird es einen dritten Weltkrieg geben?“, fragen die Kinder zum Beispiel. Die Antwort? „Es ist sehr schwer darauf zu antworten“, sagt Articus: „Aber natürlich dürfen wir Hoffnung haben auf eine diplomatische Lösung.“
Ist die Zeit der Diplomatie vorbei?
„Wie geht Frieden?“ – über diese Frage hatten sich bei der feierlichen Eröffnung und am darauffolgenden Fachtag Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft in Vorträgen und Diskussionsforen ausgetauscht (Link auf PM PH Weingarten). Fundiert, aber auch kontrovers, diskutierten Akteurinnen und Akteure aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft auf und abseits der Bühne, wie bewaffnete Konflikte gelöst und Krisen bewältigt werden können, darunter Matthias Rogg, Professor an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und Historiker mit Schwerpunkt Militärgeschichte. Prävention habe Vorrang vor militärischer Aktion und Intervention, betonte er. Vorrang bedeute aber keine Ausschließlichkeit. „Wenn das Haus brennt, heißt es Feuer löschen und Menschen retten“, sagte Rogg. „Und in unserem europäischen Haus brennt es.“
Die bewusst offene Fragestellung mündete unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine auch am Abend in einer hochaktuellen Debatte über die Ukraine-Politik der Bundesregierung und der Europäischen Union. „Frieden ist, dass sich die Stärke des Rechts durchsetzt und nicht das Recht des Stärkeren“ – mit diesem Statement eröffnete Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, das Podium, auf dem sie mit der Bundestagsabgeordneten Heike Engelhardt (SPD) und dem CDU-Europapolitiker Norbert Lins diskutierte. Der russische Präsident Wladimir Putin habe „die Art und Weise angegriffen, wie wir über Jahrzehnte versucht haben, Frieden und Sicherheit zu organisieren“, sagte Brugger. Die Verhandlungsversuche im Vorfeld des 24. Februar seien richtig gewesen, aber erfolglos, „weil die russische Seite kein Interesse daran hatte“. Es sei richtig, die Ukraine mit Waffen zu beliefern: „Das Einzige, was dazu geführt hat, dass dort aktuell nicht mehr Gebiete besetzt sind, ist deren starke Selbstverteidigung.“
Heike Engelhardt lobte die „besonnene Art“ des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) und seinen Aufbau eines Sondervermögens für die Bundeswehr, für den es allerdings noch keine politische Einigung gibt. „Ich war immer klar gegen Aufrüstung, aber aktuell haben wir keine andere Wahl“, sagte Engelhardt.
"Wie kann man so eine Bestie sein?"
Die aktuelle Lage treibt Norbert Lins als Vorsitzender des Ausschusses für Ernährungssicherheit im Europaparlament in besonderer Weise um. Eine durch Putins Blockade drohende Hungerkatastrophe müsse abgewendet werden: „Er lässt beladene Schiffe blockieren und Transportgleise bombardieren“, sagte Lins: „Wie kann man so eine Bestie sein?“ Die EU-Kommission wolle nun rasch Vorschläge machen, wie man den Weizen auf anderen Transportwegen schneller umschlagen könne.
Es sei unbedingt richtig, dass Schweden und Finnland der Nato beitreten, betonte Lins: „Und wir müssen perspektivisch den Wunsch der Ukraine nach einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union erfüllen.“