| Hospiz- und Palliativarbeit
25. Süddeutsche Hospiztage

Sterben – Teil des Lebens

Stiller Beistand für Schwerstkranke, aber auch ein gesellschaftlicher Auftrag. Und jetzt: eine fundamentale Änderung für die Hospizbewegung.

Von Paul Kreiner

Die Süddeutschen Hospiztage sind zu einer Institution geworden. Unter dem Titel „Letztverlässlichkeit“ fanden sie nun zum 25. Mal statt, im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim – und bei vollem Haus. An die 150 Ehren- und Hauptamtliche aus der Hospizbewegung und aus Palliativ-Einrichtungen waren gekommen, um über das Woher und das Wohin ihres Engagements zu reden.

Eigentlich, so Prof. Sabine Pleschberger von der Uni Wien im Einführungsvortrag, rede man, seit es die Hospiztage gibt, „immer über dieselben Themen – weil sich die Gesellschaft ja auch nicht so schnell ändert“. Zwar bekam Pleschberger schnell den Bogen zu Problemen und Fragestellungen, die man vor 25 Jahren – und gar beim Aufkommen der Hospizbewegung vor gut 40 Jahren – noch gar nicht kannte. Aber sie hatte schon mal einen Akzent gesetzt. Hospizliches Engagement und palliative Versorgung – das ist ja nicht nur individuell-stille Begleitung von schwerstkranken und sterbenden Menschen, sondern eine durchaus öffentlich relevante Frage, die sich durch die ganze Tagung zog: Schafft es die Gesellschaft, eine „neue Sorgekultur“ zu entwickeln, „verlässliche Sorgegemeinschaften“ zu bilden? In Zeiten familiärer Fragmentierung beispielsweise, wenn immer mehr ältere Menschen alleine leben? Als Antwort auf die Wünsche der Menschen, die der Realität in Deutschland diametral gegenüberstehen? 57 Prozent der Befragten, so zitierte Pleschberger aus einer Studie, würden am liebsten zuhause sterben und nur vier Prozent im Krankenhaus. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: im Krankenhaus sterben 76 Prozent, zuhause nur 23 Prozent. Hier habe es also keinerlei Trendwende gegeben, trotz des starken Ausbaus gerade der ambulanten Hospiz- und Palliativversorgung.

Die Hospizbewegung: „eine Erfolgsgeschichte“

Die Hospizbewegung, so Pleschberger, sei eine „Erfolgsgeschichte“; sie habe sich „als Bürgerbewegung etabliert“. Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband spricht (ohne Aufgliederung ambulant/stationär) von inzwischen 1.290 Hospiz- und Palliativ-Diensten, oder -Einrichtungen in Deutschland, in denen sich mehr als 141.500 Menschen ehrenamtlich oder hauptamtlich engagieren. Wie dringend gerade ambulante Kräfte gebraucht werden, zeigt sich an Zahlen, die Susanne Kränzle mitbrachte, die Leiterin des Hospizes Esslingen und stellvertretende Verbandsvorsitzende. Ihr zufolge verbringen Schwerstkranke ganze fünf Prozent ihrer Zeit „in Institutionen“, die übrigen 95 Prozent – tja: zuhause, bei ihren Familien, sofern es welche gibt, oder allein… Und das Sterben heute, ergänzt Pleschberger, „passiert auch noch später als in früheren Zeiten und in einem verlängerten Prozess“. Aber die Gesellschaft heute, so der Tenor der Tagung, messe dem Sterben in Würde und dem Tod als Teil des Lebens noch immer nicht den Wert zu, der unter humanen Gesichtspunkten nötig wäre. Und die politischen Rahmenbedingungen seien verbesserungswürdig. Nur in einer Hinsicht nicht, wie Susanne Kränzle, ihren Kolleg:innen mitgab: „Laden Sie Politiker ein! Mit Hospiz lässt sich immer Staat machen. Politiker kommen gerne zu uns und sonnen sich im Glanz unseres ehrenamtlichen Engagements!“

Treue als subversives Element

Die Hospizbewegung, vom Ehrenamt getragen und ohne Abrechnung irgendeiner „Leistung“, sei ohnedies eine Gegenbewegung zu gesellschaftlichen, sozio-ökonomischen und politischen Trends der Zeit, hieß es bei der Tagung. Das deutsche Gesundheitssystem, so Kränzle, scheine immer unzuverlässiger zu werden; demgegenüber blieben die Hospizdienste „Anker und Wächter der Einfühlsamkeit am Ende des Lebens.“ Das ganz hohe Lied auf hospizliches Ehrenamt sang in Hohenheim der Freiburger Medizinethiker Prof. Giovanni Maio. Das Motto der Tagung aufgreifend – „Letztverlässlichkeit“ also – sagte er, Hospizarbeit sei „eine Revolution“. In einer „durchökonomisierten Gesellschaft“, in der sich „im Geist der Flexibilisierung, der Veränderung um jeden Preis, alles verflüssigt, auch der Wert des menschlichen Lebens“, garantiere Hospiztätigkeit „am Lebensende etwas anderes, als im landläufigen Gesundheitssystem geleistet werden kann.“ Da gehe es nicht mehr um einen nach seiner Leistungsfähigkeit beurteilten Menschen auf der einen Seite und um Effizienzbestrebungen des Krankenhaussystems auf der anderen Seite. Da gehe es nicht um „Verrichtungen“ an Menschen, nicht um „Plansoll-Arbeit“, nicht um „Durchschleusen“, sondern um Haltung und Beziehung. Da gehe es um Sorge – und um ein „Versprechen, das Halt in einem Meer von Unsicherheit“ gebe: „Ich bleibe bei Dir bis zuletzt.“ Das, so Maio, sei in der heutigen Gesellschaft, „das Subversive, das die Hospizarbeit ausmacht: Treue.“

Das Problem Sucht

Gleichwohl blieben bei den zwei Tagen in Hohenheim die kritischen Punkte nicht ausgespart. Wie zum Beispiel geht die Hospizarbeit mit Sucht um? Der Berliner Psychoonkologe Urs Münch wies entsprechend den allgemeinen gesellschaftlichen Zahlen – 18 Prozent der Bürger:innen betreiben Alkoholmissbrauch, sechs Prozent sind direkt abhängig – darauf hin, dass jeder vierte „Gast“ in den Hospizen betroffen sei, aber Abhängigkeitsstörungen bisher wenig beachtet würden: „Das Hospiz soll den Menschen eine schöne Zeit bereiten. Aber Sucht ist eine Herausforderung: sollen wir gewähren lassen oder Grenzen setzen?“  Während Susanne Kränzle gemeint hatte: „Die Gäste dürfen morgens auch ihren Cognac im Kaffee haben – wer wäre ich, der sagt, die müssen erst trocken werden?“, sagte Münch, bei Abhängigen „müssen wir im Hospiz zumindest versuchen, mit dem Alkoholkonsum eine Stufe tiefer zu kommen.“ Das mache die Tätigkeit auch für die Mitarbeiter:innen im Hospizdienst erträglicher, die sonst selber unter Geruchsbelästigungen und „Verhaltensentgleisungen“ litten. Sie dürften in schweren Fällen ruhig und resolut Spielregeln festsetzen: „Ich komme nur, wenn Sie sich in dieser Zeit ordentlich verhalten.“  Das wiederum provozierte im Saal die Frage, inwieweit sich ambulante Hospizbetreuer:innen in private Haushaltssituationen einmischen dürften: Nur bei Selbst- und Fremdgefährdung? Münch riet, in solchen Fällen die Angehörigen zu fragen, wie sie selber damit zurechtkämen, ob sie vielleicht Hilfe bräuchten, und gegebenenfalls die Suchtberatung einzuschalten. Ein „ganzer Verzicht“ sei bei schwer Abhängigen ohnehin nicht hinzukriegen, und „ein nicht freiwilliger Entzug wäre Quark“.

Assistierter Suizid – die größte Herausforderung

Das neueste und größte Problem aber, das „das Sterben und die Hospizarbeit fundamental verändert“, stellt der assistierte Suizid dar. Sabine Pleschberger, die anfangs – in der Rückschau fast schon ironisch – gemeint hatte, es werde seit 25 Jahren über dieselben Themen geredet, schloss damit ihren Einführungsvortrag. „Wir sind noch dabei zu verstehen“, sagte sie, „was die gesetzlichen Regeln bedeuten.“ Ein „Systemwandel“ sei das, „alles voller Widersprüche“; da sei „etwas aus dem Gleichgewicht geraten“. Hospizarbeit, sagte Pleschberger, sei „nicht verpflichtet“, beim assistierten Suizid anwesend zu sein, könne die Menschen aber auch nicht allein lassen. Susanne Kränzle meinte: „Wir schützen Gäste vor Gewalt, auch gegen sich selber. Suizidassistenz gehört nicht zu unseren Aufgaben.“ Dass da nicht nur großer Diskussionsbedarf besteht, sondern dass das Thema die Hospizbewegung im innersten Kern trifft, machte Pleschberger mit einer kleinen, aber schmerzlichen Bemerkung deutlich. Wenn es der Hospizbewegung darum gehe, das Sterben in den „normalen“ Lebensablauf der Gesellschaft zurückzuholen, wenn Sterben also wieder mehr als Teil des Lebens begriffen würde und damit ja „nicht mehr so schlimm“ sei, dann – so fragte Pleschberger – „ist Suizidassistenz also auch nicht schlimm?“

Das Problem des Umgangs mit den rechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich des Assistierten Suizids besteht weiter. Doch alle Referierenden machten deutlich, dass Menschen, die hospizlich und in Palliative Care engagiert sind, immer auch dafür arbeiten, solche Dilemma-Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Die Süddeutschen Hospiztage sind eine Kooperation zwischen den beiden konfessionellen Akademien in Baden-Württemberg, der Caritas und der Diakonie sowie dem Hospiz- und PalliativVerband Baden-Württemberg. Sie finden jährlich abwechselnd in Baden und in Württemberg, und dort abwechselnd in evangelischen und in katholischen Häusern statt.

Links zu angesprochenen Themen und Dokumente, aus denen bei der Tagung auch zitiert wurde: