| Geschichte und Politik
Wirtschaft im Wandel

Trotz allem – optimistisch

Was die Krisen in Politik und Ökonomie für die Menschen bedeuten, dem spüren wir in unserer Online-Reihe „Wirtschaft im Wandel“ nach. Hier: dem gewaltigen Umbruch in der Region Stuttgart.

Von Juliane Scheuermann

Die Region Stuttgart steckt wirtschaftlich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Dem Hauptwirtschaftszweig – der Autoindustrie und den Zulieferbetrieben – erwachsen durch die E-Mobilität neue globale Wettbewerber. Dieser Prozess wird verschärft durch gleich zwei globale politische Krisen: den Angriffskrieg Russlands auf die Ukrainer und die daraus resultierende Energiewende sowie durch den immer aggressiveren Anspruch Chinas auf Taiwan. Für die regionale Wirtschaft, die stark vom Export nach China lebt, sind dies dunkle Wolken, über die wir in unserer Gesprächsreihe „Wirtschaft im Wandel“ mit dem langjährigen Leiter der regionalen Wirtschaftsförderung, Dr. Walter Rogg, und der seit November 2022 amtierenden IHK-Hauptgeschäftsführerin, Dr. Susanne Herre, diskutierten.

Für Rogg, der nach der deutschen Wiedervereinigung die Wirtschaftsförderung Sachsen aufbaute und seit 1995 die Wirtschaftsförderung der Region Stuttgart leitet, geht es um Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze und gute Arbeit: „Das ist der Kern.“ All dies könne ein Unternehmen nur bieten, wenn es gut am Markt verankert sei. Rogg erinnerte daran, dass dies nicht die erste wirtschaftliche Transformation im Land ist. Er erinnerte an den Fahrzeugbau in den neunziger Jahren, als fast über Nacht 200.000 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg verloren gingen, davon 100.000 im Stuttgarter Raum. Schon zwei Jahre später jedoch habe man wieder an vorherige Erfolge angeknüpft. Auch an die Krise in der Textilindustrie und der Uhrenindustrie erinnerte er. Immer sei dies begleitet gewesen von der Sorge, jetzt gingen die Lichter aus. Doch danach sei es sogar immer besser geworden als vorher.

So vieles gleichzeitig, so vieles mit „D"

Neu seien die Gleichzeitigkeit verschiedener Prozesse und die globale Dimension der Veränderung bei den Rahmenbedingungen. Roggs Schlagworte dazu: Decarbonisierung, Digitalisierung, Development Goals (ökologische Entwicklungsziele), New Green Deal. Ein besonderes Augenmerk legte er auf die Demografie („bis 2035 gehen 750.000 Fachkräfte in den Ruhestand, nur 530.000 kommen nach. Das spürt die Wirtschaft schon heute und wird das noch härter spüren in den kommenden Jahren.“)  Dabei seien allein von 2010 bis 2020 mehr als 200.000 Fachkräfte zugewandert, das entspreche einem ganzen Landkreis.

Diversifikation nennt Rogg als Herausforderung und fragt, ob Deglobalisierung um sich greife. Die Region, so Rogg, sei auf internationalen Handel angewiesen, 69 Prozent der gesamten Produktion und Dienstleistungen würden exportiert: „Ohne das wären wir 69 Prozent ärmer.“

Riesenmärkte für neue, nachhaltige Produkte

„Degrowth“, noch so ein Schlagwort, wirft Rogg in die Diskussion und fragt „Sind wir am Ende des Wachstums angekommen?“ Und gab es zuletzt überhaupt noch Wachstum, wenn man auf die Infrastruktur schaue? Der Zustand von Straßen, Brücken, Schulen belegten doch enormen Investitionsstau. Und ein letztes Schlagwortpaar - wie alle zuvor mit dem Anfangsbuchstaben „D" fügt Rogg an: Demokratie und Diktatur. Er ist überzeugt davon, dass die Demokratie in hohem Maße auch vom ökonomischen Erfolg abhängt, und erinnert daran, dass in der Autokrise der neunziger Jahre die rechten „Republikaner“ entstanden sind.

Ökologie und Ökonomie seien keine Gegensätze mehr, aber man müsse der Gesellschaft die Möglichkeit geben, mitzukommen, fordert Rogg und erinnert an den Satz des früheren Bosch-Chefs Volkmar Denner: „Wir können Strukturwandel, aber wir können nicht Strukturbruch.“ Der schärfste ökologisch motivierte Grenzwert sei deshalb nicht immer der beste, denn man müsse die praktische Umsetzung im Blick behalten und die Menschen mitnehmen. Man habe aber jetzt die Chance, dass neue Märkte entstehen für neue, nachhaltige Produkte. Das World Economic Forum schätzt laut Rogg das Marktvolumen dafür bis 2030 auf 10 Billionen Dollar. Rogg will dabei auf bestehende wirtschaftliche Stärken aufbauen. Es gebe aber auch Zuwächse auf innovativen Gebieten. Nötig sei eine klare Strategie. Die habe man in der Region aufgebaut. Nötig seien aber auch Selbstbewusstsein und Zutrauen.

„Ein großer gemeinsamer Wille“

Dr. Susanne Herre, die neue Hauptgeschäftsführerin einer IHK mit 160.000 Mitgliedern, will nicht von Krise in ihrer Arbeit sprechen, sondern von Herausforderungen, die sich an die Stelle der erhofften Erholung gesetzt hätten. Nach Corona sei die politische Lage aktuell höchst instabil. Herre sieht eine starke Wirtschaft in einer starken Region – und das macht die leidenschaftliche Stuttgarterin optimistisch. Sie zählt als Pluspunkte auf die Internationalität der Region mit „tollen Unternehmen, die sich dem Wandel stellen." Jüngst sei man von der „Wirtschaftswoche“ zur erfolgreichsten Start-Up-Region Deutschlands gewählt worden. Stuttgart habe „eine tolle Kulturszene, eine großartige Landschaft und tolle Projekte, ein neues Stadtviertel im Rosensteinpark; der Bahnhof steht vor dem Abschluss.“ Dies mache sie optimistisch, dass die Herausforderungen bewältigt würden, sagte Herre, fügte dann aber ihrerseits noch ein „D"-Schlagwort hinzu, das für den Erfolg wichtig sei: Deregulierung.

Der Transformationsprozess der Region Stuttgart könne aber auch bewältigt werden wegen des tollen Hochschulstandorts mit zwei Universitäten und mehr als 20 Hochschulstandorten für angewandte Wissenschaften. Dies biete hervorragende Möglichkeiten für Entwicklung, Forschung und Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Größte Herausforderung seien die Fachkräfte, sagte Herre. Schon 2009 habe die IHK einen Fachkräftemonitor entwickelt, jetzt gelte es zu handeln. Aber die Politik habe das erkannt und arbeite an Lösungen. Es gebe einen großen gemeinsamen Willen, die Probleme zu lösen. Neue Chancen biete auch die Künstliche Intelligenz. Problematisch aber blieben Überregulierung und Bürokratie. Die Regelungen seien für die Anwender wie für die Verwaltung nicht mehr vollziehbar. Chaos und Stillstand seien aber gefährlich. Wichtig für den Erfolg sei aber auch, dass man die Wirtschaft nicht als rückständig beschimpfe. Herre verlangte stattdessen Unterstützung und Technologieoffenheit. „Wir schaffen das gut, mir ist nicht bange um die Region Stuttgart“, lautete das Fazit der IHK-Geschäftsführerin.