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Natur und Mensch

Wenn Bäume erzählen

Bäume sind mehr als Holzlieferanten. Welches Eigenleben sie haben, wie sie eingebettet sind in ihr Umfeld, das wurde bei einer interdisziplinären Tagung klar, auch mit philosophischen Beiträgen.

Dass Bäume mehr sind als Holzlieferanten, weiß jeder, der sich von der Schönheit der Wälder verzaubern lässt oder von majestätischen Baumveteranen, die mit ihrem imposanten Alter vieles an Geschichte erlebt haben.
Unter der Oberfläche offenbart sich eine geheimnisvolle Welt, die den Blick auf den Eigenwert der Pflanzen lenkt statt nur auf den Nutzwert. Eine angemessene Nutzung wird diesen Eigenwert genauso einzubeziehen haben wie die Einbettung der Bäume ins gesamte Ökosystem, dessen Teil auch der Mensch ist. Hier ist viel zu lernen von den indigenen Völkern, deren Sicht auf Bäume und Natur von Respekt, Verbundenheit und Spiritualität geprägt ist. Die Dokumentation der interdisziplinären Tagung vom 5.-6. Mai 2023 greift einige dieser Aspekte heraus.

BaumARTen

Zum Thema „Baum“ kann auch die Leiterin des Fachbereichs Kunst, Dr. Ilonka Czerny, mannigfaltige Beispiele liefern. Die Verehrung von „heiligen Bäumen“ oder der Glaube an einen „Weltenbaum“, dessen Erhalt für das Wohlergehen der Menschheit stehe, veranschaulichten, wie stark die Beziehung zwischen Menschen und Natur korreliert. Der Paradiesbaum stehe für die Erkenntnis der Dualitäten „gut“ und „böse“ und führe die religiöse Komponente weiter. In der Renaissance gewinne das Naturstudium an Bedeutung, die mimetische Nachahmung des Gesehenen erfahre mit dem naturalistischen Stil eine ausschließlich an der Natur orientierte Richtung. Der Baum werde in der deutschen Romantik zum Sehnsuchtsmotiv; der Wald zum Sehnsuchtsort. Mit Pathos aufgeladen erhalte er sogar eine politische Konnotation, die im Nationalsozialismus eine Steigerung erfahre und den Wald zum deutschen Kulturgut erhebe. Die Künstler:innen des 20. Jahrhunderts adaptierten und abstrahierten die Baumdarstellungen mit ihren Stilrichtungen und würden durch die motivische Verwendung inhaltliche Schwerpunktsetzungen erkennen lassen. Schließlich veranlassten Umweltzerstörung und Klimakrise auch die Kunst schaffende Zunft, ihren sozialkritischen, politischen und aktivistischen Beitrag zu leisten und mit ihren künstlerischen Mitteln ein Zeichen zu setzen.

Der Eigenwert der Bäume

Die Philosophin Prof. Dr. Regine Kather stellt Bäume als Zeitzeugen, Ökosysteme und Welterbe vor. Sie ging der Frage nach, ob Bäume ein Bewusstsein haben. Dazu könne man zunächst drei Wertekonzeptionen unterscheiden: Der Baum habe einen instrumentellen Wert, er könne ferner einen relationalen Wert haben, wenn er beispielsweise an jemanden erinnert. Und er habe darüber hinaus einen Eigenwert unabhängig davon, ob er jemandem nütze oder jemand ihm eine Bedeutung zuschreibe: Er verfüge über eine Eigendynamik, durch die er seine artgemäße Entwicklung und Vermehrung sowie sein Wohlbefinden anstrebe. In diesem Sinne habe er eine rudimentäre Form des Selbstseins, ein innewohnendes Streben und intrinsisches Ziel, das nicht von anderen an ihn herangetragen werde. Bestimmte Bäume als schützenswertes Nationalerbe auszurufen sei daher mehr als angemessen.

Der Wald lebt und kommuniziert

Da Dr. Heike Wagner, an der Akademie die Leiterin des Fachbereichs Internationale Beziehungen, viele Jahre in Lateinamerika verbracht hat, konnte sie authentisch die Vorstellung der Indigenen vom „lebendigen Wald“ nahe bringen. Man könne und müsse diese Wissensform ernst nehmen, indem man sich interkulturell herausfordern lasse – jenseits von Romantisierung und Exotisierung. Eine solche Offenheit setze allerdings nicht weniger als eine epistemische Dekolonisierung voraus, ein Hinterfragen der Machtstrukturen, die bestimmen, was „Wissen“ ist. Dann könne man vom Anthropozentrismus, der den Menschen im Zentrum sieht, zu einer kosmischen Relationalität allen Lebens gelangen, zu einer Bescheidenheit, die zuhören kann. Dann könne man vernehmen, was Bäume zu erzählen haben.

Die gesamte Dokumentation der Tagung, einen Blick auf die Faszination der exotischen und wissenschaftlichen Hohenheimer Gärten inklusive, finden Sie hier.

 

In den Hohenheimer Gärten