| Newsletter 2024 Juli
Kirche und Missbrauch

Das Unsagbare darstellen

Kann man sich künstlerisch dem Leid annähern, das sexualisierter Missbrauch durch Kleriker bei Kindern ausgelöst hat? Eine Ausstellung ist auf Tour.

Von Dr. Ilonka Czerny

„Bilder sagen mehr als 1000 Worte“, heißt es in einem Aphorismus. Er wird gerne von bildgebenden Berufsgruppen verwendet, wenn sie ihre Profession positiv hervorheben oder vor der schreibenden Zunft einordnen möchten.

Bilder sind auch eine Form von Sprache. Was ist jedoch, wenn weder die gesprochenen, geschriebenen Worte noch Bilder das auszudrücken vermögen, was Menschen widerfahren ist? Dies betrifft exemplarisch den geistlichen Missbrauch und die sexualisierte Gewalt in den Kirchen. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss schweigen“, hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein geschrieben. Muss man schweigen auch über das hier? Soll das die Lösung sein? Geschwiegen, verdeckt, vertuscht oder Schweigen erzwungen wurde jedoch – wie seit Jahren bekannt – viele Jahrzehnte in den Kirchen, in einer Institution, die sich als moralische Instanz versteht. Die Wahrheit will und muss ans Licht, weil nur sie zur Glaubwürdigkeit beiträgt.

Betroffene zeigen Gesicht

Am 26. und 27. Juni 2024 wird in der „Wolfsburg“, der katholischen Akademie des Bistums Essen in Mühlheim an der Ruhr eine Fachtagung zur Erinnerungskultur stattfinden. Titel: „Wie an den sexuellen Missbrauch in Kirche und Gesellschaft erinnern? Ideen – Konzepte – Methoden“. Dazu bin eingeladen, um einen Vortrag zu halten zum Thema: „Das Unsagbare darstellen – künstlerische Ansätze sexualisierter Gewalt“.

In diesem Zusammenhang werde ich Projekte vorstellen, die ich selbst organisiert bzw. an denen ich mitgearbeitet habe. Die von mir kuratierte Ausstellung „Betroffene zeigen Gesicht“ tourt seit zwei Jahren durch deutsche Diözesen und zeigt Kinderbilder aus der Zeit des Missbrauchs. Diese wurden von den Einreichenden mit Texten versehen, in denen sie schildern, was der Missbrauch mit ihnen und ihrem Leben gemacht hat.

Diese Konzeption kommt ohne die Zitate nicht aus. Die unschuldigen, oft lachenden Kindergesichter in Kombination mit den drastisch-dramatischen Textinhalten wirken auf die Betrachter schockierend. Diese dokumentarische Ausstellung lässt keine Person unberührt.

Offene Baustelle der Kirchen

Die Kunstaktion „Baustelle“ zum Katholikentag 2022 in Stuttgart wurde von manchen externen Betroffenen für zu wenig Kommunikationsbereitschaft kritisiert. Aufgrund mangelnden Personals wurden die Flächen des Pavillons vom Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz rundherum mit einem Baustellen-Transparent versehen. Die Aussage, dass die Missbrauchsaufarbeitung einer Großbaustelle gleicht, wurde jedoch von Passanten verstanden. Dieser Stand war sicher der meist fotografierte.

Das Fotobuch „Light Up the Unspeakable“ versucht, ohne Worte auszukommen. Darin sind Fotos enthalten, die ich in Räumen aufgenommen habe, an denen nachweislich schwerer Kindesmissbrauch stattfand. Die Räume sind meist dunkel gehalten oder bewusst überbelichtet, die Fotos sind unscharf und meist aus der Bodenperspektive aufgenommen, wie ein Kind sie eben sieht. Die Intention besteht darin, der Betrachterin, dem Betrachter die Atmosphäre näherzubringen, wie sich Missbrauch anfühlen kann. Bei den bisherigen Rezipient:innen ist dies gelungen.

Die Ausstellung „Betroffene zeigen Gesicht" ist derzeit im Bistum Limburg unterwegs und geht im Oktober nach Passau.