| Geschichte und Politik
Rechtsaußen-Kräfte auf dem Vormarsch

Ziel: eine widerstandsfähige Demokratie

Wie kann sich eine freiheitliche Demokratie gegen Rechtsaußen-Strömungen wehren? Lässt sich von Nachbarländern lernen?

Von Christian Ströbele
Rechtspopulistische, rechtsradikale und rechtsextremistische Bewegungen gewinnen vielerorts in Europa an Einfluss. In Italien oder Ungarn regieren sie bereits, in mehreren deutschen Bundesländern, Landkreisen und Kommunen greifen sie nach politischer Macht. Dabei lernen sie voneinander – gerade auch, wenn es darum geht, Macht nicht mehr hergeben zu müssen. Wie widerstandsfähig sind Demokratie und Rechtsstaat demgegenüber? Welche Ähnlichkeiten, aber auch welche Unterschiede zeigen sich im Vergleich europäischer (Nachbar-)Länder? Welche Handlungsmöglichkeiten haben Politik und Rechtsstaat einerseits, zivilgesellschaftliche Initiativen und Bündnisse andererseits? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines „Nachgefragt“-Abends unter dem Titel „Von Bautzen bis Brüssel – wie widerstandsfähig ist unsere freiheitliche Demokratie?“

Die Fallstricke gezielter Politik

Jannik Jaschinski vom „Thüringen-Projekt“ des Verfassungsblogs erläuterte zunächst, wie autoritär-populistische Bewegungen Rechts- und Verwaltungsstrukturen missbrauchen könnten, um ihre Macht zu festigen. Er warnte, ähnliche Entwicklungen wie in Ungarn unter Viktor Orbán seien auch in Deutschland möglich, insbesondere in Thüringen, wo die AfD besonders stark ist. Jaschinski betonte die Wichtigkeit, sich dieser Bedrohungen bewusst zu sein und frühzeitig zu handeln, um die Resilienz der demokratischen Institutionen zu stärken. Er skizzierte Gefährdungen wie eine mögliche Kündigung der Rundfunkstaatsverträge durch einen AfD-Ministerpräsidenten oder die politische Besetzung von Spitzenposten bei Polizei und Verfassungsschutz. Er plädierte dafür, solchen Gefahren durch gesetzliche Rahmenbedingungen vorzubeugen. Allerdings seien politische Mehrheiten für entsprechende Reformen in Thüringen derzeit nicht absehbar.
Annalena Schmidt vom Projekt „Demokratie gewinnt!“ der Diakonie Sachsen berichtete über den starken Zulauf, den rechtsextreme Gruppierungen in fast allen Regionen Sachsens haben. In den meisten Städten und Landkreisen sei die AfD inzwischen stärkste Partei. Daneben wachsen auch kleinere Gruppen wie die „Freien Sachsen“. Dies zeige, wie tief rechtsextreme Ideologien bereits in die Gesellschaft eingedrungen seien.
Schmidt beschrieb eine zunehmende Vernetzung und die Aktivität rechtsextremer Gruppen, denen die Zivilgesellschaft oft nur schwer etwas entgegensetzen könne. Trotz der bedrohlichen Lage gebe es aber immer wieder auch positive Beispiele für zivilgesellschaftliches Engagement, etwa bei Gegendemonstrationen oder Aktionen gegen Rechtsextremismus. Sie betonte die Bedeutung der persönlichen Ansprache im eigenen Umfeld, um Menschen für demokratische Werte zu gewinnen.

Ähnliche Strategien in ganz Europa

Rolf Frankenberger vom Institut für Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen ordnete die Entwicklungen vergleichend ein: Rechtsextreme Parteien sind in vielen Ländern Europas auf dem Vormarsch, wie in Frankreich der Rassemblement National; in Italien regiere die postfaschistische Partei „Fratelli d'Italia“. In Ungarn, Polen, Belgien, Österreich und den Niederlanden seien rechtsextreme Parteien an der Regierung beteiligt oder stellten die stärkste Oppositionskraft.
Trotz unterschiedlicher nationaler Kontexte, so Frankenberger, verfolgten diese Parteien oft ähnliche Strategien, um ihre Macht auszubauen und demokratische Institutionen zu schwächen. Umso wichtiger sei es, die Resilienz der Demokratien zu stärken. Als positives Gegenbeispiel verwies Frankenberger auf Polen, wo eine breite zivilgesellschaftliche Mobilisierung den Wahlerfolg der PiS-Partei begrenzen konnte.
In der anschließenden Diskussion wurden Ursachen für den europaweiten Aufstieg rechtsextremer Parteien erörtert. Dazu zählten insbesondere eine gezielte Emotionalisierung von Ängsten mit Hilfe von Krisenszenarien und Verschwörungserzählungen. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die sozialen Medien als Plattformen für rechtsextreme Propaganda und Vernetzung. Mehrfach wurde die Bedeutung des Migrationsthemas für die Mobilisierung durch die extreme Rechte hervorgehoben.

„Die Rechten rechts überholen zu wollen, funktioniert nicht"


Frankenberger warnte allerdings davor, inhaltlich hinterherzulaufen und die Rechten rechts überholen zu wollen. Dies habe noch nie funktioniert. Stattdessen brauche es eine Debatte darüber, wie in der postmigrantischen Gesellschaft Zugehörigkeit und Identität jenseits von völkischen Konzepten definiert werden könne.
Konsens bestand darin, dass der Schutz unabhängiger, demokratischer Institutionen gestärkt werden müsse. Dazu zählten Sicherheitsbehörden ebenso wie Landeseinrichtungen, beispielsweise die Landeszentralen für politische Bildung. Deren Existenz und Unabhängigkeit müssten langfristig gesetzlich abgesichert sein und dürften nicht von jeweiligen parlamentarischen Mehrheiten abhängen. Zugleich müssten zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, besser gefördert und finanziell stabilisiert werden, insbesondere wenn sie bislang von unstetigen Projektmitteln abhängen. Frankenberger regte zudem eine unabhängige wissenschaftliche Begleitforschung an, um Präventionsprojekte weiterzuentwickeln.
Annalena Schmidt plädierte dafür, antidemokratische Tendenzen frühzeitig im persönlichen Umfeld anzusprechen. Menschen mit ganz niedrigschwelligen Formaten dafür zu aktivieren, auf ihrer persönlichen Ebene für Demokratie einzustehen, sei ein guter Ansatz. Über persönliche Kontakte in Familie, Nachbarschaft und Beruf könne erreicht werden, dass Menschen nicht den einfachen Parolen folgten. In der gegenwärtig aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung komme es darauf an, Spaltungen nicht weiter zu vertiefen, sondern im Gespräch zu bleiben und für die Werte des demokratischen Zusammenlebens einzutreten.

Die Veranstaltung, die am 27. Juni online stattfand, war eine Kooperation der Akademie mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und wurde vom Akademieverein unterstützt.